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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 655 / 10.12.2019

Vom Ankerzentrum in die Haft

Deutschland Ein Prozess am Bamberger Landgericht zeigt, wie eng das rassistische Aufenthaltsregime und die Kriminalisierung von Geflüchteten zusammenhängen

Von Katharina Schoenes

»In diesem Prozess sitzen die Richtigen auf der Anklagebank« - mit diesen Worten beginnt der Staatsanwalt am 7. November 2019 im Landgericht Bamberg sein Plädoyer. Angeklagt sind vier Geflüchtete aus Eritrea. Ihnen werden gefährliche Körperverletzung, tätlicher Angriff und schwere Brandstiftung vorgeworfen. Die Vorwürfe beziehen sich auf einen Vorfall im Ankerzentrum Bamberg am 11. Dezember 2018, der bundesweit Aufsehen erregte.

Randalierende Geflüchtete sollen Polizist*innen in Tötungsabsicht angegriffen haben, lauteten damals die reißerischen Schlagzeilen. Bewohner des Ankerzentrums hätten sich verbarrikadiert, Wachleute und Polizist*innen attackiert und schließlich einen Brand gelegt. Ein ähnliches Bild war schon nach Polizeirazzien in den Ankerzentren Donauwörth, Ellwangen und Deggendorf gezeichnet worden. Auch hier wurden Geflüchtete zu »Kriminellen« stilisiert, die eine Gefahr für sich und andere darstellten. Spricht man allerdings mit Augenzeug*innen und Bewohner*innen, ergibt sich ein ganz anderes Bild:

Wegen einer angeblichen Ruhestörung kommt es am 11. Dezember 2018 um kurz nach Mitternacht in einer Wohnung in Block 7 des Ankerzentrums zu einem Streit zwischen Wachleuten und Eritreern. Im Zuge der Auseinandersetzung wird der Geflüchtete E. von den Securities verletzt. Ihm wird ein Zahn ausgeschlagen, er blutet stark aus dem Mund. Als die Eritreer gegen die Gewalt protestieren, verlassen die Wachleute die Wohnung und halten von außen die Tür zu. Es sind zehn bis 15 Personen. Die Eritreer fordern die Wachleute auf, die Tür zu öffnen und sie raus zu lassen, damit sie Hilfe für den Verletzten holen können, doch die Wachleute weigern sich. Stattdessen besprühen sie die Geflüchteten durch ein Loch in der Tür mit einem Feuerlöscher.

Etwa zwanzig Minuten später, gegen ein Uhr morgens, kommt die Polizei. Zu diesem Zeitpunkt verlassen alle Wachleute das Gebäude. Auch E. geht nach draußen, um sich medizinische Hilfe zu holen. Als er sich der Polizei nähert, greifen die Beamt*innen ihn mit Pfefferspray an.

Festgenommen, gefesselt, misshandelt

Eine Polizistin film die Szenerie mit ihrem Diensthandy. Auf dem Video ist zu sehen, wie mehrere Personen im Treppenhaus auf- und ablaufen und Dinge aus den Fenstern werfen. Ein Beamter wird von einem Gegenstand getroffen. Im Hintergrund hört man immer wieder das Geräusch von zerbrechendem Glas. Um 1:37 Uhr, mehr als eine halbe Stunde nach Ankunft der Polizei, bricht in einer Wohnung im ersten Stock Feuer aus. Der Alarm geht los, alle Bewohner*innen werden aufgefordert, das Gebäude zu verlassen. Einige klettern aus dem Fenster. Durch den Brand erleiden 15 Personen Rauchgasvergiftungen.

Die Polizist*innen und Securities nehmen viele Geflüchtete fest und bringen sie zu einem Kreisverkehr auf dem Gelände des Ankerzentrums. Dort misshandeln Securities die Geflüchteten in Anwesenheit der Polizei, die nichts unternimmt. Mehrere Betroffene geben später an, dass die Sicherheitsleute sie in den Rücken und in den Nacken traten, während sie gefesselt auf dem Bauch lagen. Später werden die Gefangenen zur Polizeiwache gebracht.

Einem Eritreer gelingt es zunächst, sich der Festnahme zu entziehen und in den Wohnblock 6 zu flüchten. Um ihn ausfindig zu machen, wird das SEK eingeschaltet, das einige Stunden später in dem Gebäude eine Razzia durchführt. Die Beamt*innen nehmen dabei nicht nur den gesuchten Eritreer fest, sondern werfen auch acht unbeteiligte Geflüchtete aus Nigeria aus ihren Betten und schleppen sie zum Teil halb nackt auf die Polizeistation.

Für vier Eritreer werden am folgenden Tag Haftbefehle beantragt. Darunter ist auch E, dem ein Zahn ausgeschlagen wurde. Die übrigen Gefangenen werden nach Stunden aus dem Gewahrsam entlassen. Viele derer, die von den Securities misshandelt wurden, spucken Blut. Als sie zum Lagerarzt gehen, um sich untersuchen zu lassen, verweigert dieser die Behandlung. Bei einem Mann, der Tage später außerhalb des Ankerzentrums einen Arzt aufsucht, wird eine gebrochene Rippe diagnostiziert.

Die massive Gewalt der Wachleute gegen Geflüchtete reiht sich ein in eine Geschichte systematischer Wachdienstgewalt im Ankerzentrum Bamberg. Viele der am 11. Dezember 2018 eingesetzten Wachleute waren Teil des sogenannten »Flexteams« der Firma Fair Guards Security. Dabei handelt es sich um den Nachfolger des rassistischen und gewalttätigen »Sonderteams«, das 2017 für brutale Angriffe insbesondere gegen Schwarze Bewohner*innen des Lagers in Bamberg verantwortlich war. (ak 640) All diese Übergriffe blieben straflos.

Zehn Monate nach dem Vorfall beginnt am 14. Oktober 2019 vor dem Landgericht Bamberg der Prozess gegen vier Eritreer, die zu diesem Zeitpunkt schon zehn Monate in Untersuchungshaft sitzen. In der Hauptverhandlung dreht sich alles darum, die Gefährlichkeit und Gewaltbereitschaft der angeklagten Geflüchteten zu beweisen. Wie in einem Terrorprozess werden sie Tag für Tag in Fußfesseln in den Gerichtssaal geführt, bedrängt von den Kameras der Journalist*innen.

Zentrales Beweismittel ist das Video der Polizei, das im Laufe des Prozesses immer wieder abgespielt wird. Anhand der Aufnahmen kann rekonstruiert werden, welche Personen zu welchen Zeitpunkten Gegenstände aus dem Gebäude geworfen haben. Zusätzlich werden Dutzende Geflüchtete, Securities und Polizist*innen als Zeug*innen vernommen. Bei der Befragung der Wachleute und Polizist*innen stellt sich heraus, dass kaum einer in der Lage ist, die Angeklagten zu identifizieren. Gäbe es das Video nicht, wären wohl kaum Verurteilungen möglich gewesen. Stattdessen wird deutlich, wie dilettantisch der Polizeieinsatz verlaufen ist. Es gab keine Einsatzleitung, einige Zeug*innen sprechen rückblickend von einer »Chaosphase«.

Wie Polizeizeug*innen in der Verhandlung mehrfach betonen, befanden sich in Block 7 auch Familien, die durch den Riot der Eritreer in Gefahr gebracht wurden. Doch statt sie zu schützen, standen die Beamt*innen länger als eine halbe Stunde untätig herum und beobachteten das Geschehen, bis es gegen 1:37 Uhr zu der Brandlegung kam. Rückblickend lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, ob mit Absicht oder aus Unfähigkeit so gehandelt wurde. Fest steht aber, dass die Beamt*innen ausreichend Zeit und Gelegenheit gehabt hätten, den Riot zu beenden und den Brand zu verhindern - und somit eine Mitverantwortung für die Eskalation und die Gefährdung der Bewohner*innen tragen.

Die rassistischen Zustände werden ausgeblendet

Weder das ausgrenzende Lagersystem noch struktureller Rassismus werden an den insgesamt sieben Verhandlungstagen als Ursachen des Riots thematisiert. Auch vom gewalttätigen Verhalten der Wachleute und der Polizei wollen die Richter und der Staatsanwalt nichts wissen. Wenn Zeug*innen von sich aus darauf zu sprechen kommen, verzichten sie auf Nachfragen oder versuchen, die Betreffenden zu diskreditieren, indem sie auf vermeintlichen Widersprüchen oder Ungenauigkeiten in deren Aussagen herumreiten. Andere Zeug*innen und Opfer der Security-Gewalt am 11. Dezember 2018 können im Prozess überhaupt nicht aussagen, weil sie zwischenzeitlich abgeschoben wurden oder das Gericht kurzfristig entscheidet, auf ihre Befragung zu verzichten.

Der Prozess offenbart auch, wie wenig der Richter, der Staatsanwalt und die Verteidiger von den Realitäten der Flucht, dem europäischen Grenzregime und den Verhältnissen in Herkunfts- und Transitländern wissen. »Wieso waren Sie in Libyen inhaftiert? Was wurde Ihnen vorgeworfen? War das ein Gefängnis des Staates oder von Schleppern?« will der Richter am zweiten Verhandlungstag vom Angeklagten E. wissen. Auch dass E. in seinem Herkunftsland Eritrea wegen eines gescheiterten Fluchtversuchs inhaftiert war, können einige Prozessbeteiligte nicht recht nachvollziehen. Offenbar wissen sie nicht, dass unerlaubte Ausreise in Eritrea eine Straftat ist. Ebenso wenig scheint ihnen bekannt zu sein, dass dieselben Milizen der sogenannten libyschen Küstenwache, die die EU seit Jahren aufrüstet, in Libyen auch die Folterlager betreiben, in denen Flüchtende unter grausamen Bedingungen festgehalten werden, bis sie sich freikaufen können.

Neun Jahre und sechs Monate

Am 7. November 2019 wird das Urteil gesprochen. Ausgerechnet E., der selbst schwer verletzt wurde, verurteilt das Gericht als »Hauptaggressor« zu neun Jahren und sechs Monaten Haft. T., der aus Sicht der Richter ebenfalls maßgeblich für den Riot verantwortlich war, wird freigesprochen, da bei ihm eine »psychische Störung« vorliege. Zugleich wird seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. S. wird zu einem Jahr und neun Monaten verurteilt, die nicht zur Bewährung ausgesetzt werden. Für O., der selbst nicht auf dem Video zu sehen ist, aber seine Mitangeklagten schwer belastet hat, endet der Prozess mit einem Freispruch.

Auch im Urteil spielt die Gewalt des bayerischen Asyl- und Lagerregimes keine Rolle. Stattdessen wird der vorsitzende Richter nicht müde, die eingesetzten Wachleute und Beamt*innen in Schutz zu nehmen. Das gewalttätige Vorgehen der Securities rechtfertigt er, indem er behauptet, diese hätten nur schlichten wollen, aber T. sei so außer sich gewesen, dass rationale Argumente nicht weitergeholfen hätten. Auch den wahllosen Einsatz von Pfefferspray gegen Unbeteiligte und Verletzte durch die Polizei bezeichnet er als nachvollziehbar. Gewalttätige Securities und Polizist*innen bleiben damit erneut straffrei, während Opfer von staatlicher Gewalt kriminalisiert werden.

Diese Form der Täter-Opfer-Umkehr ist genau nach dem Geschmack des bayerischen Innenministers Joachim Hermann (CSU). Dieser lobte das harte Urteil und kündigte an, dass er alles daransetzen werde, die »Gewalttäter« abzuschieben, sobald sie einen ausreichenden Anteil ihrer Haft abgesessen hätten.

Katharina Schoenes arbeitet zu institutionellem Rassismus und ist aktiv bei Justizwatch. Die Gruppe beobachtet und dokumentiert Rassismus in der Justiz.