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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 656 / 21.1.2020

Aufgeblättert

Keine Sexmythen

Anders als es der Titel vermuten lässt, dreht sich in dem Buch der US-amerikanischen Ethnografin Kristen Ghodsee nicht alles um Sex. Vielmehr setzt sich die Autorin in sechs Kapiteln damit auseinander, was Sozialismus, »richtig umgesetzt«, für Frauen bedeutet. Er brächte wirtschaftliche Unabhängigkeit, eine ausgewogenere Balance zwischen Arbeit und Familie und eben auch besseren, weil von ökonomischen Abhängigkeiten befreiten Sex, meint Ghodsee. Sie verweist dabei vor allem auf - durchaus unterschiedliche - Erfahrungen aus den früheren »Ostblock«-Staaten. Zurück zum Staatssozialismus wolle sie keinesfalls. Allerdings hieße »das Schlechte einzugestehen« nicht, »das Gute zu negieren«. Also begibt sich Ghodsee auf die Suche nach diesem Guten. Dabei hebt sich ihr Text positiv ab von der oft sensationsgeilen medialen Beforschung des Sexlebens von Ost-Frauen (FKK! Häufigere Orgasmen als im Westen!! Und die vielen Sexpartner!!!). Schade nur, dass sich der Verlag dazu hinreißen ließ, dem Buch eine Aufmachung zu verpassen, die auf genau diese Sensationslust setzt. Sie wird dem, was zwischen den Buchdeckeln passiert, nicht gerecht, denn statt Sexmythen aus dem Ostblock gibt es hier eine faktenreiche Beschreibung von von kapitalistischen Zwängen befreiten Geschlechterverhältnissen. Und einen Ausblick auf die Zukunft, wobei sich Ghodsee trotz allem davor hütet, Emanzipation unter kapitalistischen Bedingungen für aussichtslos zu erklären und damit das Thema auf »irgendwann« zu verschieben.

Nelli Tügel

Kristen R. Ghodsee: Warum Frauen im Sozialismus besseren Sex haben. Suhrkamp Verlag, Berlin 2019. 277 Seiten, 18 EUR.

KI, wir müssen reden

In Zeiten der Informationsflut, die dank smarter Verbindungen allerlei Sinne stimuliert, ist es eine Herausforderung, sich eine Meinung zu bilden. Demokratische Vergesellschaftung der Zukunft braucht eine lebendige Debatte um Digitalisierung, die Räume jenseits oder zwischen Schreckens- und Horrorerzählungen oder dem Abfeiern technologischer Beschleunigung ermöglicht. Der in zugänglicher englischer Sprache verfasste und gratis lesbare Comic »We need to talk, AI« ist eine Einladung für eine Debatte um künstliche Intelligenz. Jetzt ist er auch auf Deutsch erwerbbar. Die Lektüre ermöglicht es, sich den Ängsten gegenüber Überwachung und den Maschinen zu stellen und gleichzeitig über die Möglichkeiten technologischer Entwicklung, gesellschaftlicher Gestaltung und Nutzung zu sinnen. Die Autorinnen zeigen das Feld von Artificial Intelligence (im deutschen Sprachgebrauch häufig auf KI verkürzt) auf, das von Ängsten, aber auch Wünschen durchzogen ist. Der Comic erklärt die Basics, gibt Beispiele und zeigt Zukunftsvisionen, die risikobehaftet, aber auch utopisch sein können. Die fantastischen Schwarzweiß-Zeichnungen laden gemeinsam mit den kurzen Texten ein, sich an Thesen zu reiben und das eigene Handeln zu reflektieren. Der Comic schafft als populäres Lehrbuch den Spagat zwischen Wissensvermittlung und Anregung zum eigenen Denken. Er positioniert sich in der Tech-Debatte, in dem er die Leser*in auffordert, gemeinsam zu fragen: Welche Zukunft wollen wir erleben?

Anna Stiede

We need to talk, AI. A Comic Essay on Artificial Intelligence. 60 Seiten. Abrufbar oder bestellbar: weneedtotalk.ai

Zurück nach Gilead

Nach über 30 Jahren ist sie da: die Fortsetzung von Margaret Atwoods »Report der Magd« (1985). »Die Zeuginnen« führt erneut ins christlich-fundamentalistische Gilead, wo Frauen systematisch unterdrückt und funktionalisiert werden, etwa zu zwangsverheirateten Ehefrauen, zu Haushalts-»Marthas« oder zu »Mägden«, die als gebärende Zweit- und Mehrfachfrauen weitergereicht werden. Atwood schrieb den Roman laut Eigenaussage »als Antwort« auf Leserzuschriften, die nach den Gründen für den Sturz Gileads fragten. Dieser wird von drei »Zeuginnen« erzählt: der intriganten »Gründerinnen-Tante« Lydia, die die Archive Gileads verwaltet, der jungen Agnes, die auf ihre Rolle als Ehefrau vorbereitet wird, und der 16-jährigen Daisy, die in Kanada aufwächst und Kontakte zum Widerstand hat. Dass der Roman recht unverhohlen nach dem kommerziellen Erfolg der erfolgreichen MGM-Serie zum »Report der Magd« (2017) schielt und mehr rasanter Sabotage-Krimi als verstörende Dystopie ist, tut seiner Brisanz keinen Abbruch. Zugegeben: Durch die Pluralisierung der Stimmen und den notorischen Erklärgestus (wir erfahren einiges über die Vorgeschichte und Hintergründe) geht den »Zeuginnen« viel von der Subtilität und dem Beklemmungspotenzial des »Reports der Magd« verloren. Was bleibt, ist ein klug komponierter Thriller mit klarer feministischer Agenda und einigen poetologischen Bonbons zur Überlieferung und Deutungshoheit von Frauengeschichte(n). Das darf man auch einfach spannend finden.

Stephanie Bremerich

Margaret Atwood: Die Zeuginnen. Aus dem Englischen von Monika Baartz. Berlin Verlag 2019. 576 Seiten, 25 EUR.

AfD im Bundestag

Überraschungen enthält die Dokumentation der Linksfraktion nicht. Zwei Jahre nach dem Einzug der AfD in den Bundestag ist genau das eingetreten, was nicht schwer vorauszusehen war: Die AfD nutzt nach mehreren Landtagen auch den Bundestag als parlamentarische Bühne für Hetze, Demagogie und systematische Angriffe auf die Menschenwürde diverser Feindgruppen. Dass ihr Auftreten dort »schlimmste Befürchtungen übersteigt«, wie es im Vorwort heißt, ist eher Rhetorik als Analyse. Die wird dafür in den folgenden sechs Abschnitten überzeugend geliefert. Das geht nicht ohne Zitate, aus ausgearbeiteten Reden ebenso wie aus »spontanen« Zwischenrufen der rechten Hetzer*innen. Diese greifen immer wieder auch auf das Repertoire der Nazis zurück: Sie vergleichen Migrant*innen mit Raubtieren, schwadronieren von Kakerlaken, Ratten und ansteckenden Krankheiten, die von den »Asylbetrügern« importiert würden. Dahinter sehen sie das planvolle Vorgehen »globalistischer Eliten«. Deren Ziel sei »Umvolkung«, also der Austausch der einheimischen Bevölkerungen - dieses Wahngebilde hatte der Massenmörder von Christchurch in seinem »Manifest« als Motiv formuliert. Im Bundestag wird es von Redner*innen der AfD paraphrasiert. Durch die vielen Originalzitate bietet die Dokumentation eine wertvolle Materialsammlung für die politische Auseinandersetzung - nicht mit der AfD, aber mit den vielen »Liberalen«, die deren Agieren immer noch verharmlosen und von einem klaren Trennungsstrich nichts wissen wollen.

Jens Renner

Linksfraktion: Die Würde des Menschen ist antastbar. Die AfD im Bundestag. 24 Seiten. Abrufbar oder bestellbar: www.linksfraktion.de.