Titelseite ak
ak Newsletter
ak bei Diaspora *
ak bei facebookak bei Facebook
Twitter Logoak bei Twitter
Linksnet.de
Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 656 / 21.1.2020

»Das Klima und die Grenze schützen«

International Österreich hat wieder eine gewählte Bundesregierung: eine öko-nationale Koalition, die den unsozialen Härtekurs von Schwarz-Blau fortsetzt

Von Hanna Lichtenberger

Nachdem die Ibiza-Koalition aus der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) und der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) im Mai 2019 im Parlament abgewählt wurde, feierte Sebastian Kurz im Oktober seinen zweiten Wahlsieg mit einem Plus von sechs Prozent der Stimmen. Angesichts seiner tiefgreifenden Antipathie für die SPÖ, die bei dieser Wahl eine historische Niederlage einfuhr und dem Zustand der Freiheitlichen nach dem Abgang von Heinz-Christian Strache, schien eine Koalition mit der grünen Partei schon am Wahlabend wahrscheinlich.

Die Ansage des Grünen-Chefs Werner Kogler im Wahlkampf, er sehe »null Wahrscheinlichkeit« für eine Koalition mit der ÖVP, war schnell vergessen. Schon in der Ressortverteilung wurde die Machtverteilung in der Koalition klar: die ÖVP verfügt nun unter anderem über das Finanz-, das Wirtschafts-, das Innen-, das Verteidigungs- und das Bildungsressort. Der für die grüne Basis wichtige Bereich der Frauen- und Gleichstellungspolitik, wurde dem ÖVP-geführten Integrationsministerium »angehängt«.

Bemerkenswert ist auch, dass die Arbeitsmarktagenden nicht mehr länger im Sozialministerium liegen, sondern im schwarzen Familienministerium angesiedelt wurden. Den Grünen bleiben neben Kunst- und Kulturressort nur noch Sport, Justiz, Umwelt und Soziales. Das bedeutet auch, dass die ÖVP über alle österreichischen Geheimdienste waltet und die Skandale rund um das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) für die Schwarzen ohne Konsequenzen bleiben.

Die autoritäre Wende geht weiter

Das von Sebastian Kurz ausgegebene Motto der Regierung, es sei möglich das Klima und die Grenzen zu schützen, zeigt, dass es sich bei der schwarz-grünen Regierung um die Fortsetzung der autoritären Wende in Österreich handelt. Die geschickte rhetorische Vermengung der rassistischen Politik gegen Schutzsuchende mit der Klimapolitik impliziert auch, die Geflüchteten seien wie die Klimakatastrophe etwas, wogegen sie vorgehen müssten, bevor es zu spät sei. Diese Erzählung hat die Neue Rechte in der österreichischen Gesellschaft verankert. Gerade in den Bereichen Asyl und Migration konnte sich die ÖVP stark durchsetzen. Ein Erfolg der Grünen scheint hier lediglich das Recht zu sein, sagen zu dürfen, dass Maßnahmen der Regierung ihrer Weltanschauung entgegen stehen, sie sie aber trotzdem mittragen. Ein Beispiel dafür ist die aus der schwarz-blauen Koalition übriggebliebene Haft ohne Verurteilung (»Sicherungshaft«), die ein besonderes Herzensanliegen des ehemaligen Innenministers Herbert Kickl (FPÖ) war. Grünen-Chef Kogler hatte zuvor eine solche »Sicherungshaft« als »verfassungs- und menschenrechtswidrige Aktivitäten« verurteilt. Nun beweisen die Grünen ihre Biegsamkeit: Sie dürfen zwar kritisieren, müssen aber mitstimmen.

Gesichtswahrende Lemminge

Überstimmt werden kann die grüne Partei laut Koalitionsabkommen dann, wenn eine »Flüchtlingswelle« über Österreich hereinbricht und keine Einigung zur Form der »Abwehr« zwischen den Koalitionspartnern gefunden werden kann. Kurz (ÖVP) darf sich in diesem Fall eine Mehrheit mit den Freiheitlichen (FPÖ) im Parlament suchen und die Grünen sind gesichtswahrend fein raus: »Wir waren eh nicht dafür«, können sie dann ihren Wähler*innen sagen.

Sozialchauvinismus und ein fehlendes Grundverständnis von Sexismus und der Situation von Frauen prägten die ersten Interviews der schwarzen Regierungsriege. Gernot Blümel (ÖVP), enger Vertrauter von Kurz und nun Finanzminister, ließ etwa ausrichten, er habe sein Konto noch nie überzogen und sei daher als Finanzminister qualifiziert. Was er eigentlich sagt: »Ihr, die auf der roten Seite des Kontostandes lebt, seid selbst schuld daran. Ihr passt einfach nicht genug auf, schämt euch.« Die Frauenministerin dagegen sagte im Interview mit einer Gratiszeitung, sie hätte noch nie Sexismus am Arbeitsplatz erlebt und das Patriarchat gäbe es nur in den Herkunftsländern der Geflüchteten.

Selbstverständlich finden sich in den Steuerkapiteln des Koalitionsvertrags weder eine Erbschafts-, noch eine Vermögenssteuer wieder. Stattdessen wird die Gewinnsteuer reduziert. Kostenpunkt: 1,6 Milliarden Euro pro Jahr - ohne Gegenfinanzierungskonzept. Die Körperschaftssteuer (KÖSt) wurde in den letzten Jahren immer wieder gesenkt, mit dem Ziel, Österreichs Wettbewerbsfähigkeit durch Steuerdumping zu erhöhen. Von der KÖSt-Senkung profitiert aber nicht das kleine Öko-Start-Up. Das Momentum Institut hat berechnet, dass 75 Prozent des Profitsteueraufkommens von 2,5 Prozent der Unternehmen erbracht wird. Und diese werden am meisten von dem Steuerdumping profitieren.

Neoliberale Agenda

Frauen gibt es im Regierungsprogramm vor allem als jene, die man »integrieren muss« - zum Beispiel durch Kleidungsvorschriften (»Kopftuchverbot«) - oder als Mutter, die Anerkennung für ihre reproduktive Tätigkeit von ihrem Mann bekommen soll. Der Kampf gegen Altersarmut von Frauen besteht offenbar in einer Informationskampagne, die über die Folgen von Teilzeitarmut aufklärt. Der Ausbau von Kinderbetreuungsplätzen leidet dabei am gleichen Problem wie der wichtige Ausbau von Frauenhäusern und Frauenberatungsstellen: Es sind vage Bekenntnisse ohne konkrete Zielvorgaben und vor allem ohne explizit ausgewiesenes Budget oder garantierte Finanzierung.

Besonders schockierend ist, dass trotz großer Ankündigungen des grünen Verhandlungsteams bis zuletzt im Bereich Kinderarmutsbekämpfung wirklich nichts passiert ist. Jedes 5. Kind in Österreich ist armutsbetroffen - ihnen versprachen die Grünen im Wahlkampf, der Kampf gegen Kinderarmut werde für sie höchste Priorität haben. Und obwohl im Programm steht, man wolle die Zahl armutsgefährdeter Menschen halbieren, fehlt es völlig an konkreten Maßnahmen.

So wird die Zukunft in den Sand gesetzt

Im Bereich Klimaschutz und Energie finden sich im Regierungsprogramm ambitionierte Vorhaben: Österreich soll ab 2040 klimaneutral sein und ab 2030 soll es nur noch Stromerzeugung aus erneuerbaren Ressourcen geben. Die von der grünen Partei im Wahlkampf geforderte CO2-Steuer ist zwar im Koalitionsabkommen notiert. Jedoch finden sich darin keine Aussagen darüber, welche Höhe die Steuer haben soll oder wo sie veranschlagt wird. Die CO2-Steuer wird, wie vieles andere, was dem grünen Verhandlungsteam wichtig war, in eine Arbeitsgruppe oder auf unbestimmte Zeit verschoben. Der größte Verrat an der Zukunft junger Menschen ist aber nicht, dass es nur unkonkrete Maßnahmen im Klima- und Umweltschutzbereich gibt, sondern zwei andere Aspekte: eine Bildungspolitik, die selbst auf die jüngsten Kinder Leistungsdruck ausübt und ihnen den Spaß am Lernen nehmen will und eine Budgetpolitik, die es angesichts des Niedrigzinsniveaus versäumt, jetzt in Infrastruktur für die Zukunft zu investieren.

Im Kern ist klar: die ÖVP hat sich überall dort durchgesetzt, wo es für ihre Klientel, ihre Wahlkampf-Spender*innen und sich selbst ums Eingemachte, um Profite, Macht und Posten geht. Es wird sich zeigen, wie lange diese Regierungskonstellation tatsächlich hält und was für die Grüne Partei am Ende wichtiger ist: die Regierungsbeteiligung oder die ökosozialen Grundwerte ihrer Basis. Die lauteste Opposition im Parlament sind die wirtschaftsliberalen Neos, denn FPÖ und SPÖ kämpfen mit ihrem eigenen Zustand. Die aufgekeimten Initiativen gegen Schwarz-Blau werden nun vor der Herausforderung stehen, schwarz-blaue Politik einer türkis-grünen Regierung kritisieren zu müssen. Dass die Mobilisierung in Menschenrechts-, Demokratie- und Sozialfragen auch dann gelingt, wenn der freiheitliche Feind fehlt, bleibt zu hoffen.

Hanna Lichtenberger ist Historikerin und Politikwissenschafterin in Wien.