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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 657 / 18.2.2020

Aufgeblättert

Racial Profiling

»Warum immer ich? Steht etwas auf meiner Stirn, dass man mich verhaften muss?« Immer wieder stellen Betroffene von Racial Profiling die Frage nach dem Warum - und bringen damit ihr Unverständnis, ihre Verzweiflung und ihre Wut darüber zum Ausdruck, dass sie ständig von der Polizei kontrolliert werden. Antirassistische Gruppen dokumentieren seit vielen Jahren Fälle von Racial Profiling, prangern den strukturellen Rassismus der Polizei an und führen strategische Gerichtsverfahren gegen rassistische Kontrollen. Dennoch ist es bislang nicht gelungen, die diskriminierende Praxis abzuschaffen oder auch nur nennenswert einzuschränken. Eine aktuelle Studie aus der Schweiz untersucht Racial Profiling nun aus der Perspektive derer, die tagtäglich mit den Kontrollen leben müssen. Sie basiert auf Interviews mit 30 Personen, die mit unterschiedlichem Aufenthaltsstatus bzw. mit einem Schweizer Pass in der Schweiz leben, aber alle die Erfahrung teilen, aus rassistischen Motiven von der Polizei verdächtigt und verfolgt zu werden. Die Studie vermittelt tiefe Einblicke in die stigmatisierende Wirkung und die Gefühle der Ohnmacht und des Ausgeliefertseins, die die rassistischen Kontrollen erzeugen. Zugleich dokumentiert sie, auf welch vielfältige Weise die Betroffenen sich zur Wehr setzen. Indem die Studie Erfahrungen mit Racial Profiling sichtbar macht, kann sie dazu beitragen, dass staatlicher Rassismus sich in Zukunft auch von offizieller Seite weniger leicht leugnen lässt.

Katharina Schoenes

Kollaborative Forschungsgruppe Racial Profiling: Racial Profiling. Erfahrung, Wirkung, Widerstand. Berlin 2019. www.rosalux.de.

Soziale Architektur

Margarete Schütte-Lihotzky wird 1897 in Wien geboren. Sie gehört zu den ersten Frauen, die in Österreich Architektur studieren. Nach ihrem Studienabschluss 1919 engagiert sie sich für verschiedene Reformvorhaben in ihrem beruflichen Feld, der sozialen Architektur. Sie arbeitet teils freiwillig, teils gezwungen aufgrund der Naziherrschaft in mehreren Ländern, u.a. in der Sowjetunion und der Türkei. Stets ist sie Aktivistin der Frauenbewegung und nicht zuletzt aktiver Teil des Widerstands gegen die Nazidiktatur. Das bringt ihr vier Jahre Gefängnis ein. Am bekanntesten ist Schütte-Lihotzky als »Erfinderin« der sogenannten Frankfurter Küche. Mit ihr wollte sie Frauen die Hausarbeit erleichtern und ihnen so mehr Autonomie verschaffen, obwohl Schütte-Lihotzky bis dahin nie selbst einen Haushalt geführt hatte. Oft wird sie falsch auf diese Erfindung - der Einbauküche - reduziert. In einem wunderbar gestalteten Sammelband werden nun in zwei Dutzend Beiträgen »neue Perspektiven auf Leben und Werk« Schütte-Lihotzkys gezeigt. Autor*innen aus den Gender Studies, der Kunst- und Zeitgeschichte oder der Pädagogik zeichnen und vertiefen das vielfältige Bild dieser bemerkenswerten Architektin. Es geht um ihre architektonischen Vorhaben und Bauten, ihre transnationalen Erfahrungen und ihre beruflichen und privaten Netzwerke und nicht zuletzt um ihr politisches Leben als bekennende Kommunistin. Margarete Schütte-Lihotzky starb im Jahre 2000 mit fast 103 Jahren.

Bernd Hüttner

Marcel Bois und Bernadette Reinhold (Hg.): Margarete Schütte-Lihotzky. Architektur. Politik. Geschlecht. Birkhäuser Verlag, Basel 2019. 360 Seiten, 39,95 EUR.

Schwulenbewegung

»Bauernsohn und einer der Mitbegründer der neuen Schwulenbewegung, Dichter und Rezitator. Stirbt in seinem Heimatdorf an AIDS, behandelt mit falschen Medikamenten, weil dort keiner wissen soll, dass er schwul ist.« Diese wenigen Zeilen findet man in einem Onlinelexikon über Albert Lörken. Jetzt erzählt die Schriftstellerin Ulrike Heider das kurze Leben des Albert Lörken im Kontext der Geschichte der westdeutschen Schwulenbewegung der 1970er Jahre. Es ist ein sehr subjektives Buch. Das wird gleich auf den ersten Seiten deutlich, wo Heider die erste Begegnung mit Lörken an einem Badesee in Frankfurt am Main beschreibt. »Als Einziger, so schien es mir, genoss der Szeneneuling das Nacktsein. Ob das an seinem perfekten Äußeren lag, überlegte ich, einem Körper, der dem klassischen wie dem barocken Schönheitsideal entsprach, der Knabenhaftes mit Athletischem verband und der Traum eines Tänzers wie eines Sportlers gewesen wäre.« Der schwärmerische Ton deutet die lange Freundschaft zwischen Heider und Lörken an, die 20 Jahre hält. Das Buch endet mit dem 5. Juni 1992, an dem Lörken auf dem Friedhof seiner Heimatgemeinde Mariaweiler bei Düren beerdigt wird. Dazwischen gelingt es Heider auf 250 Seiten, eine kurze Geschichte der Schwulenbewegung nachzuzeichnen. In einem Kapitel beschreibt sie, welche Angst die ersten Nachrichten über AIDS in der schwulen Szene auslösten, und erinnert an die Versuche konservativer Politiker*innen, die Schwulenbewegung zu kriminalisieren.

Peter Nowak

Ulrike Heider: Der Schwule und der Spießer. Provokation, Sex und Poesie in der Schwulenbewegung. Männerschwarm-Verlag, Berlin 2019. 256 Seiten, 18 EUR.

Groteske

Eine Geschichte, wie sie an ungezählten Orten täglich ungezählte Male passiert: Eine Mutter verliert ihren Sohn im Krieg. Eine Geschichte, die anders erzählt wird: Eine Mutter schreibt sich ihren Sohn zurück. Seit einem Bombenangriff in einem nicht näher definierten Krieg gilt Rosas Sohn Polat als vermisst. Ihr Sohn ist zur schmerzenden Leerstelle geworden, die Rosa nicht akzeptieren kann. Sie schreibt ein an amerikanischen Blockbuster-Serien orientiertes Script über Polats grandiose Rückkehr und engagiert einen jungen Mann, der fortan die Rolle ihres Sohnes einnimmt - in Rosas Alltag und vor einem fiktiven TV-Publikum. In Cemile Sahins Debütroman »Taxi« gibt es keine sympathischen Charaktere. »Mutter« und »Sohn« agieren als Hauptfiguren in einem Drehbuch, dessen geschäftsmäßiger Heroismus und Kitsch permanent vom Text selbst unterlaufen werden: süffisant, absurd und eigenwillig. Sahin setzt auf die Rollenhaftigkeit ihrer Figuren, die im Verlauf des Textes mehr und mehr verunsichert wird, und verzichtet auf psychologische Tiefenschärfe. Ihr Roman spielt gekonnt mit Trivialisierungsgesten, ohne jedoch den Krieg selbst zu trivialisieren, der gewissermaßen die fratzenhafte Leinwand der Groteske ist. Das erinnert an Brechts episches Theater und an das damit verbundene politische Programm - um den Preis freilich, dass die Figuren unnahbar bleiben und die Handlung stellenweise hölzern wirkt. Was überzeugt, sind die Fragen, die »Taxi« aufwirft: nach der Medialisierung des Krieges und der Autorschaft über die eigene Lebensgeschichte.

Stephanie Bremerich

Cemile Sahin: Taxi. Roman. Korbinian Verlag, Berlin 2019. 220 Seiten, 20 EUR.