Die falsche Hoffnung
Wirtschaft & Soziales Wenn der Green New Deal die beste Antwort auf die Klimakrise sein soll, dann gibt es keine Antwort
Von Rufus Jordana
In den letzten Monaten hat der »Green New Deal« (GND) vielen Linken Hoffnung gegeben: Mit ihm könne der Klimakollaps abgewendet werden. Nachdem sich die 2017 in den USA gegründete Graswurzelbewegung Sunrise Movement, aber auch Politiker*innen der Demokratischen Partei wie Alexandria Ocasio-Cortez und Bernie Sanders in den USA für den GND eingesetzt haben, hat sich die Begeisterung mit der Kampagne »Labour for a Green New Deal« längst auch auf Großbritannien ausgebreitet. (ak 656)
Der GND verspricht alles. Seine Befürworter*innen setzen auf eine grüne industrielle Revolution unter Führung der Arbeiter*innen, die eine Stromversorgung aus erneuerbaren Energien, neue, luxuriöse E-Transportmittel und erschwingliche energieeffiziente Häuser bringen soll. Unsere Wirtschaft wird eine der Ethik und des Umweltmanagements sein. Produziert wird nur das, was sozial nützlich ist - und das kohlenstoffarm und mit Investoren, die sich von den Prinzipien der Nachhaltigkeit leiten lassen. Erwerbslosigkeit soll durch neue, gut bezahlte Jobs in der grünen Industrie abgeschafft werden. Die Arbeitszeit soll verkürzt, die Bezahlung verbessert und die Mitbestimmung ausgebaut werden. Die koloniale Rohstoffpolitik der industriellen Epoche soll beendet werden. Das klingt alles zu schön, um wahr zu sein.
Und das ist es auch. Eine Analyse des GND zeigt, dass dieser die politischen und wirtschaftlichen Realitäten, die zur Erderwärmung geführt haben, nur ungenügend berücksichtigt.
Die Ursache für den Klimakollaps ist unser Wirtschaftssystem. Um zu funktionieren, verlässt sich der Kapitalismus auf die Logik des unendlichen Wachstums, der Verbrennung fossiler Brennstoffe und der kolonialen Ressourcengewinnung im Ausland. Das Streben nach unendlichem Wirtschaftswachstum erschöpft die endlichen Ressourcen der Welt und erzeugt immer mehr Abfall und Schadstoffe. Das führt zwangsläufig dazu, dass die »planetary boundaries«, die planetaren Belastbarkeitsgrenzen, überschritten und die Biosphäre der Erde geschädigt werden. Der Wachstumsimperativ der kapitalistischen Produktionsweise beruht auf der hohen Effizienz der umweltschädlichen fossilen Brennstoffe, was sich im starken Anstieg der Treibhausgasemissionen und der globalen Erwärmung seit der industriellen Revolution manifestiert. Historisch beruht der Kapitalismus auf der kolonialen Rohstoffausbeutung, nur dadurch konnte er überleben. Auch heute noch werden die Brennstoffe und Ressourcen für den Globalen Norden mit massiven Menschenrechtsverletzungen, ausbeuterischen Arbeitsbedingungen und lokalen Umweltzerstörungen im Globalen Süden gewonnen. Es ist dieses System des unendlichen Wachstums, das den Planeten zum Zusammenbruch des Klimas und zum ökologischen Armageddon treibt.
Die Lüge des unendlichen Wachstums
Ohne Wirtschaftswachstum würde der Kapitalismus ins Stocken geraten, Rezessionen und ein Crash wären die Folgen. Betriebe würden pleite gehen, die Erwerbslosigkeit stiege, und soziales Elend griffe um sich. Die Folge: ein Dilemma für die Eliten in Politik und Wirtschaft. Denn sie sind nicht in der Lage, die Wirtschaft am Laufen zu halten und gleichzeitig den Klimawandel aufzuhalten.
Die Verfechter*innen des GND indes weigern sich, dieses Problem anzuerkennen. Klar ist, dass der GND rhetorisch stark auf die Ungerechtigkeiten und ökologischen Probleme des gegenwärtigen Wirtschaftssystems abhebt. Er plädiert zu Recht dafür, die Klimakrise als Klassenfrage und als eine der sozialen Gerechtigkeit zu verstehen. Überdies umreißt er einige der grundlegenden Merkmale einer ökologischen Gesellschaft. Seine aufklärerische Rolle ist zu würdigen. Aber was fehlt, ist ein umsetzbares Konzept zur Neugestaltung der ökonomischen Paradigmen, die den Klimawandel in Gang gesetzt haben. So basiert der GND auf der zentralen Lüge des kontinuierlichen Wachstums, das Beschäftigung verspricht und gleichzeitig vorgibt, die ökologischen und sozialen Folgen in den Griff zu bekommen.
Anhaltendes Wirtschaftswachstum ist notwendig, damit der GND sein Versprechen von Arbeitsplätzen für alle erfüllen kann. Das ist nur in einer wachsenden Wirtschaft möglich. Wo der GND das Wirtschaftswachstum thematisiert, da verspricht er, dieses vom Umweltverbrauch abzukoppeln. Aber das ist nicht möglich. Das Wirtschaftswachstum wurde im globalen Maßstab nie absolut vom Wachstum des Material- und Energieverbrauchs entkoppelt. Und es ist wenig glaubwürdig, dass dies jemals der Fall sein wird. Wer das Gegenteil behauptet, verleugnet die ökologischen Grenzen des Planeten. Genau das machen die »grünen Wachstums«-Erzählungen und eine Unternehmerklasse, die angesichts des Klimakollaps nach Ausflüchten für endlose Profite suchen.
Die Grenzen der erneuerbaren Energien
Die Pläne des GND legen zugrunde, dass sich Wachstum an ethischeren Standards messen lässt. Das verkennt die bittere Realität: Arbeitsplätze in dieser Wirtschaft sind an das Gebot »Wachse oder weiche« gebunden sind. Die Grünen New Dealer können keine qualitativen, ethischen Wertmaßstäbe anwenden, um das quantitative Wirtschaftswachstum zu erzeugen, das notwendig ist, um sowohl neue Arbeitsplätze zu schaffen als auch zig Millionen derzeit nutzloser Arbeitsplätze zu ersetzen. In der Tat sind gegenwärtig Millionen von Arbeitsplätzen sozial nutzlos - durch die Her- und Bereitstellung überflüssiger Produkte und Dienstleistungen existieren sie nur, um weiter Renditen einzufahren und die Wirtschaft wachsen zu lassen. Einfach gesagt, ethische Überlegungen können die kapitalistische Wirtschaft nicht durchdringen.
Zweitens ignoriert der GND die Realitäten der erneuerbaren Energien. Erneuerbare Energien sind keine Wunderwaffe, wie alle Technologien haben sie ihre Grenzen. Eine kapitalistische Wirtschaft, die durch erneuerbare Energien angetrieben würde, wäre immer noch umweltschädlich. Aufgrund ihrer geringeren Energiedichte haben erneuerbare Energien einen hohen Flächenverbrauch. Beim derzeitigen Wachstum würde dieser ein Ausmaß erreichen, das verheerende ökologische Folgen hätte. Um etwa den gegenwärtigen Energieverbrauch Großbritanniens allein durch Solarenergie zu decken, wären etwa 30 Prozent der verfügbaren Fläche des Königreiches erforderlich, 50 Prozent für die EU insgesamt. Zahlreiche Staaten würden gar mehr Flächen benötigen, als sie haben. Dies würde nicht nur die Biodiversitätsreserven zerstören, sondern der Bedarf an Land würde auch eine verheerende Konkurrenz zwischen Nahrungsmittel- und Energieproduktion zur Folge haben.
Fossile Brennstoffe waren schon immer von entscheidender Bedeutung für das Funktionieren eines kapitalistischen Systems. Ohne sie kann es nicht funktionieren. Kohle, Gas und Öl mit hoher Energiedichte können rund um die Uhr gewonnen, gespeichert und zur Energiegewinnung verbrannt werden. Historisch gesehen bot ihre Speicherung eine größere Mobilität als erneuerbare Energien oder andere, die an bestimmte Orte, wie einen Fluss - Windmühle - gebunden sind. Wenn der Grüne New Deal weiter auf eine wachsende Wirtschaft setzt, wird er auf die Reserven fossiler Brennstoffe angewiesen bleiben.
Schließlich führt der GND die imperialistischen Beziehungen zwischen dem Globalen Norden und den Ländern des Globalen Südens fort. Letztere werden der wirtschaftlichen Abhängigkeit unterworfen. Um seine erneuerbaren Technologien wie Solar- und Windkraftanlagen sowie Batterien aufzubauen, bräuchte ein GND riesige Mengen an Bodenschätzen wie Lithium und Kobalt; er wäre auf Unmengen an Silber, Kupfer und Stahl angewiesen. Diese Rohstoffe werden indes vorwiegend im Süden der Welt abgebaut, in Sambia und der Demokratischen Republik Kongo, in Chile, Argentinien und China. Um die Wirtschaft europäischer Länder »grün« zu machen, wäre eine beträchtliche Steigerung des Abbaus und der Aneignung dieser Ressourcen erforderlich - ein Prozess, der sehr gewaltsam ablaufen wird. Schon wird zu Recht vor einem »grünen Kolonialismus« gewarnt.
Wenn die Pläne des GND doch einmal das Wirtschaftssystem infrage stellen, versäumen sie es, auszuführen, wie das innerhalb der staatlichen Institutionen erfolgen könnte. Seien es die Vorschläge zur Dezentralisierung der Staatsmacht, zur Demokratisierung des Arbeitsplatzes, zur Durchsetzung ethischer Finanzvorschriften oder die Unterstützung für eine Vier-Tage-Woche - diese Vorhaben ignorieren die institutionellen Verhältnisse, die solche politischen und wirtschaftlichen Veränderungen innerhalb des staatskapitalistischen Systems stets eingeschränkt und verhindert haben. Diese Ziele mögen wünschenswert sein, einige sind sogar für eine ökologische Zukunft entscheidend. Aber solange die Grünen New Dealer nichts Konkretes zur Umsetzung sagen, bleibt es bloße Rhetorik.
Ein institutionelles Problem
Fakt ist: Das staatskapitalistische System ist eine unausweichliche wirtschaftliche und politische Realität, die die globale Erwärmung vorantreibt. Es ist in seinem Kern unvereinbar mit der Schaffung einer ökologischen Gesellschaft. Selbst die Umsetzung des besten Programms in ihm, - der GND oder Ähnliches - bedeutet eine anhaltende ökologische Katastrophe. Im Grunde hält somit der GND die grundlegenden Beziehungen des kapitalistischen Wirtschaftssystems aufrecht; er ist mit einer grünen Zukunft unvereinbar.
Dies ist kein Aufruf zur Verzweiflung oder zur Resignation. Vielmehr ist es ein Weckruf, dass wir in der Linken und in der Klimabewegung dringend eine kritische Selbstreflexion und die Infragestellung unserer politischen Annahmen benötigen. Entscheidend ist, dass wir die theoretischen Debatten beleben.
Wir können es uns nicht leisten, blindlings auf politische Parteien als Vehikel für die Verwirklichung einer freien und ökologischen Gesellschaft zu setzen und uns aus ideologischer Faulheit mit der Rhetorik eines Green New Deal zu trösten. Es ist an der Zeit, die klassische Debatte der Linken über Weg und Mittel zum Sozialismus zu reanimieren. Wir müssen fragen, wie sich der Kapitalismus und die Bedingungen der Arbeiterbewegung im 21. Jahrhundert verändert haben. Gleichzeitig muss nach neuen Alternativen zur Transformation der Gesellschaft gesucht werden.
Rufus Jordana ist in der Bewegung für Klimagerechtigkeit aktiv und studiert an der Universität von Cambridge. Der Text erschien zuerst auf der Seite britischen Website openDemocracy.net unter dem Titel »False hopes for a Green New Deal«. Dort sind auch zahlreiche Quellen verlinkt. Übersetzung und leichte Kürzung: Guido Speckmann.