Bleibt informieren strafbar?
Gender Kristina Hänel über die Folgen des §219a und wie sie ihn vor Gericht kippen will
Interview: Anne Meerpohl
Ein Jahr nach dem halbgaren Reförmchen der Groko zur »Verbesserung der Information über einen Schwangerschaftsabbruch« führt der Paragraf 219a immer noch dazu, dass die Verbreitung von Informationen über Abtreibungen kriminalisiert wird. Weist zum Beispiel ein*e Ärzt*in darauf hin, dass ein Schwangerschaftsabbruch »in geschützter Atmosphäre« stattfinden kann, wird dies als Werbung für Abtreibung und damit als strafbare Handlung verfolgt.
Ärzt*innen werden weiterhin in ihrer Berufsfreiheit eingeschränkt, und auch das Recht auf Selbstbestimmung für schwangere Personen ist durch §219a ständig infrage gestellt. Die von der Großen Koalition erhoffte Schwächung von feministischen Protesten ist allerdings bisher noch nicht zu beobachten. Stattdessen ist hier eher das Gegenteil zu erwarten, denn: Beinahe gleichzeitig zum Geburtstag des Reförmchens von §219a kippte der Zweite Senat in Karlsruhe den benachbarten §217, der das selbstbestimmte Recht auf Sterben regulieren soll. Diese Entscheidung lässt nun auch auf einen guten Ausgang im Falle §219a hoffen, der demnächst ebenfalls vor dem Bundesverfassungsgericht verhandelt werden soll, meint Kristina Hänel im Interview.
Frau Hänel, würden Sie die aktuelle Situation rund um den §219a beschreiben?
Kristina Hänel: Der §219a wurde ja nur geringfügig verändert, aber in seiner Grundtendenz beibehalten. Das heißt, Ärzt*innen dürfen weiterhin nicht selbst umfassend sachlich über den Schwangerschaftsabbruch informieren. Damit führt der §219a zu einer Verschiebung der Wissensvermittlung hin zu unsachlichen, tendenziösen Seiten der sogenannten Abtreibungsgegner, die ja nicht verboten sind. Ebenso führt der Paragraf zu einer Stigmatisierung und Kriminalisierung derjenigen, die bereit sind, Frauen zu helfen. Damit ist er hauptverantwortlich für die schlechte Versorgungslage in Deutschland zum Schwangerschaftsabbruch, die sich auch weiterhin dramatisch verschärft.
Können Sie eine Einschätzung geben, wie sich zum einen die Versorgungslage und zum anderen das gesellschaftliche Klima in den letzten Jahrzehnten verändert hat?
Nach der Legalisierung kam es in der DDR zu einer flächendeckenden Versorgung. Die Fristenregelung bestimmte den Zeitraum, innerhalb dessen ein Abbruch straffrei möglich war. Eine Verweigerung etwa aus Gewissensgründen war nicht mehr möglich. Dennoch bestand gesellschaftlich ein Tabu und eine Ächtung der betroffenen Frauen. In der BRD wiederum kamen die Stellen nur langsam, an denen Frauen versorgt wurden. Die ambulanten Möglichkeiten waren zum großen Teil mit holländischen Kolleg*innen besetzt. In meinem Studium spielte das Thema gar keine Rolle. Im Laufe der Jahre verlagerte sich die Versorgung zunehmend vom stationären auf den ambulanten Bereich. Viele Krankenhäuser verweigern seither den Eingriff oder führen ihn nur unter ganz bestimmten Umständen durch. Die Zahl der niedergelassenen Ärzt*innen nimmt ab, da die biologische Altersgrenze erreicht ist und nicht genug Nachfolge da ist. Die Arbeit ist nicht lukrativ, das Stigma ist hoch, und die Angst vor Kriminalisierung tut ihr Übriges.
Der §219a wird nun vor das Bundesverfassungsgericht gebracht. Was sind mögliche Szenarien für den Ausgang eines Verfahrens?
Nach der Entscheidung vor wenigen Wochen zum §217 könnte man davon auszugehen, dass auch beim §219a das Bundesverfassungsgericht Artikel 1 des Grundgesetzes höher bewertet als zuvor und damit der Würde der Frau endlich das Gewicht gibt, das ihr zusteht.
Für wie wahrscheinlich halten Sie einen positiven Ausgang? Wie geht es für Sie und Ihre Kolleg*innen nach einem negativen Ausgang weiter?
Die Wahrscheinlichkeit, dass Karlsruhe feststellt, dass der §219a mit der Verfassung nicht vereinbar ist, ist relativ hoch. Aber wir wissen noch nicht, wann es dort zur Verhandlung und Entscheidung kommt und wie bis dahin die personelle Besetzung endgültig aussieht. Sollten wir beim Bundesverfassungsgericht scheitern, bleiben uns der Europäische Gerichtshof und letztlich noch die Vereinten Nationen.
Gibt es auf der Ebene des Europäischen Gerichtshofes Beispiele, auf die man sich beziehen könnte?
Der Präzedenzfall für meinen Fall wäre einer von irischen Studierenden, die auf Adressen und Namen von Ärzt*innen in Großbritannien hingewiesen haben. Das wurde vom Europäischen Gerichtshof für rechtens erklärt. Ärzt*innen, die Menschen aus der EU behandeln, dürfen darüber auch informieren. Im Rückblick auf das letzte Jahr gab es eine große öffentliche Aufmerksamkeit rund um die Paragrafen 218 und 219a und am Ende eine unzureichende Reform.
Was würden Sie rückblickend als Erfolg verbuchen, und was können wir aus den Protesten vom letzten Jahr lernen?
Das Thema ist in der Gesellschaft angekommen. Es hat eine breite Bewegung gegeben, viele Menschen sind aufgewacht und erheben ihre Stimme für das Informationsrecht für Frauen. Ein Paragraf, der altertümlich anmutet und einfach aus der Zeit gefallen ist, wird als solcher erkannt. Ebenso führt die ganze Diskussion dazu, dass ein allgemeines Verständnis für Betroffene entwickelt wird. Das Thema wird aus den Hinterhöfen herausgeholt. Mit dieser gesellschaftlichen Anerkennung bekommen auch die Betroffenen ein Stück ihrer Würde wieder zurück, die ihnen in so vielen Fällen durch die demütigende Behandlung genommen worden ist. Das ist ein sehr positiver Aspekt und für mich das Wichtigste an der jetzigen Entwicklung, weil ich schon so viele Jahre mit angucken muss, wie schlecht Frauen oft behandelt werden, wenn es um Schwangerschaftsabbrüche geht.
Was würden Sie sich von einer feministischen Bewegung im kommenden Jahr wünschen?
Gerade in der jetzigen Situation, in der an den Grundfesten der Demokratie gewackelt wird, ist eine starke feministische Bewegung wichtig. Ohne Gleichberechtigung auf allen Ebenen können Frieden und Freiheit nicht erreicht werden. Jede Benachteiligung eines Menschen aufgrund von Geschlecht, Herkunft, sexueller Identität, Glaube oder sonstigen »Andersseins« widerspricht dem demokratischen Grundverständnis.
Gibt es nächste Schritte, die für die Proteste und Kämpfe um sexuelle Selbstbestimmung wichtig sind oder einen nächsten Prozess?
Mein nächster Prozess ist der Termin in Hamburg am 17. April um 10:30 Uhr beim Landgericht. Dort geht es um die Schmähkritik Klaus Günter Annens mir gegenüber und insbesondere um den Holocaustvergleich. Mir ist das gerade jetzt wichtig, 75 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz: Man darf den Holocaust mit nichts vergleichen, ihn nicht verharmlosen.
Wie kann man sich stärker wehren? Zum einen gegen die genannten Abtreibungsgegner, aber auch gegen die größeren Zusammenkünfte wie den Marsch für das Leben, der jährlich in mehreren Städten stattfindet und großen Zulauf erfährt?
Da Klaus Günter Annen und Yannic Hendricks unter anderem denunziatorisch vorgehen und nicht die demokratische Öffentlichkeit, etwa eine Diskussionsveranstaltung, suchen, ist es wichtig, immer und immer wieder ihre Handlungen öffentlich zu machen. Auch wenn es anstrengend und teilweise schmerzhaft ist, da sie ja einzelnen Menschen das Leben schwermachen. Wichtig sind da die Bündnisse von Pro Choice oder die Bündnisse für sexuelle Selbstbestimmung. Wichtig ist es, breite Unterstützung zu bekommen. Nur dann sind diese Angriffe auszuhalten.
Letztes Jahr ist Ihr Buch »Das Politische ist persönlich: Tagebuch einer Abtreibungsärztin« erschienen. Wie gehen Sie mit dem »das Politische ist Persönlich« um? Was genau bedeutet der Titel für Sie?
Ich persönlich habe den Weg an die Öffentlichkeit bewusst gewählt. Ich wollte damit zeigen, was mit mir als Mensch passiert, was mit anderen Menschen, die betroffen sind, passiert. Wenn eine Gesellschaft gleichgültig ist, lässt sie die Betroffenen allein. Wir dürfen nicht gleichgültig sein gegenüber den andauernden Verletzungen der Würde und Gesundheit von Frauen. Aber dazu müssen wir uns mit der Betroffenheit beschäftigen, sie wahrnehmen, das Tabu beenden.
Haben Sie Ratschläge für andere Betroffene?
Öffentlichkeit schützt. Sich anvertrauen hilft.
Möchten Sie noch irgendwas loswerden?
Vielen Dank für Ihr Interesse. Jede Möglichkeit, über das Thema zu sprechen, hilft, das Tabu zu beenden, und ist ein Schritt auf dem Weg zur Freiheit. Freiheit in Bezug auf Information, Freiheit in Bezug auf körperliche Gesundheit, Freiheit für ein selbstbestimmtes Leben - mit und ohne Kinder. Freiheit für die Kinder, die dann zur Welt kommen.
Anne Meerpohl schrieb in ak 656 über die Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen in Deutschland und den Kampf gegen den Paragrafen 219a.
Kristina Hänel
ist Allgemeinmedizinerin und Aktivistin in Gießen. Sie wurde auf Grundlage von §219a bereits zu Geldstrafen verurteilt und setzt sich gegen Abtreibungsgegner wie Yannic Hendricks und Klaus Günter Annen zur Wehr. Letzterer wurde bekannt durch seine zahlreichen Anzeigen gegen Frauenärzt*innen und seine menschenverachtenden Aussagen wie »Babycaust«.