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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 661 / 16.6.2020

Aufgeblättert

Linke EU-Kritik

Dass linke Kritik an der EU notwendig ist und der verworrenen Lage angemessen sein kann und dabei auch noch Orientierung gibt, zeigt der Sammelband »Staatsprojekt Europa« in elf Beiträgen und einer Einleitung. Furios, beißend, wütend und fassungslos, ohne jegliche (akademische) Zurückhaltung schreibt Hauke Brunkhorst über die verdrängte koloniale Vergangenheit Europas, die noch heute - die täglichen Bilder und Berichterstattungen zeigen es - tödliche Folgen an den Außengrenzen der EU hat - und somit eben grundlegender Bestandteil unserer europäischen Gegenwart ist. Weitere Höhepunkte des insgesamt in allen Beiträgen sprachlich wie inhaltlich guten bis sehr guten Bandes: John Kannankulams Text zur Aktualität des von Nicos Poulantzas analysierten Autoritären Etatismus und Fabian Georgis wertvolle, da Zusammenhänge herstellende Darstellung des europäischen Grenzregimes und der Kämpfe um Migration seit 2011. Stefanie Wöhl und Elisabeth Klatzer gemeinsam mit Christa Schlager fokussieren in ihren Artikeln auf die geschlechterspezifischen und -politischen Zusammenhänge. Die Entwicklung des europäischen Sicherheitsregimes betrachtet Lukas Oberndorfer. Offen muss bleiben, was diese schonungslose Kritik eigentlich für die politischen Akteure - man denke an die Linkspartei, aber auch »zivilgesellschaftliche« Zusammenhänge - bedeutet: die völlige Ablehnung der EU? Was aber dann? Die Debatte muss vorangetrieben werden: breit, ehrlich, radikal.

Sebastian Klauke

Daniel Keil und Jens Wissel (Hg.): Staatsprojekt Europa. Eine staatstheoretische Perspektive auf die Europäische Union. Nomos Verlag, Baden-Baden 2019. 255 Seiten, 39 EUR.

Care-Arbeit

Care-Arbeit ist das Zentrum der Gesellschaft und die Basis der Ökonomie. Sie ist oft unsichtbar, kaum durch Technik ersetzbar, und sie wird zu 80 Prozent von Frauen erledigt. Sie führt zu einer geringeren Rente und sie erfährt allgemein, bezahlt oder unbezahlt, wenig Wertschätzung. Ein gutes Drittel aller berufstätigen Frauen ist im Care-Sektor tätig. Die Arbeitsbedingungen sind schlecht und lassen wenig Self-Care zu. So lassen sich die mit Zahlen unterfütterten Hauptthemen des Buches zusammenfassen. Verlan und Schnerring wollen mehr Wertschätzung für Care, eine andere Erziehung und eine fürsorglichere Arbeitswelt. Ihre zentrale These lautet, dass es Emanzipation nur geben kann, wenn Sorgearbeit gesellschaftlich und privat neu aufgeteilt wird. Dazu gehört auch, geschlechtliche Normierungen durch Erziehung, Gendermarketing und die Bedeutung von Sprache kritisch zu hinterfragen. Verlan und Schnerring nennen ihr Leitbild eine »fürsorgliche Demokratie«. Ihr Buch ist sehr anschaulich und verständlich geschrieben, und das ist seine Stärke. Schwächen zeigen sich bei Fragen der Machtverhältnisse: Wer profitiert von der Situation? Warum ist sie überhaupt so, wie es die beiden Autor*innen zutreffend beschreiben? Es wird deutlich, dass der Staat kein neutraler Akteur ist, sondern der ökonomische Gender Gap die Grundlage des zeitgenössischen kapitalistischen Wirtschaftssystems ist. Das letzte Kapitel fasst zusammen, was »Equal Care« bedeuten würde, und zeigt, wie viel noch geändert werden muss.

Bernd Hüttner

Sascha Verlan und Almut Schnerring: Equal Care. Über Fürsorge und Gesellschaft. Verbrecher Verlag, Berlin 2020. 160 Seiten, 16 EUR.

Pfeiffers Reisen

Nicht viele europäische Frauen begaben sich im 19. Jahrhundert allein auf Weltreisen. Doch die Wienerin Ida Pfeiffer widersetzte sich den patriarchalen Konventionen ihrer Zeit - sie bereiste vier Kontinente und verfasste Reiseberichte über ihre Erlebnisse. Die Illustratorin Linda Schwalbe hat nun eine Hommage an sie verfasst und diese in leuchtenden Farben bebildert. Ihr Buch reiht sich damit in den feministischen Trend ein, das Leben außergewöhnlicher Frauen für Kinder nachzuerzählen. An sich absolut begrüßenswert - wäre Feminismus intersektional gedacht. Ida Pfeiffers Reisen und Werke reihen sich nämlich eher in die koloniale Tradition ein, für Weiße unbekannte Gebiete und Kulturen zu erforschen und die angeblichen Unterschiede zwischen »Wilden« und »Zivilisierten« festzuschreiben. Damit lieferte sie europäischen Ethnologen umfangreiches Material und trug selbst zum kolonialen Projekt bei - und damit auch zur Unterdrückung von Frauen. In Linda Schwalbes Erzählung über Ida Pfeiffers Leben liest sich das etwas anders, eher als spannendes Abenteuer mit Lagerfeuerromantik. Das feministische Kinderbuch, als welches es hier und da angepriesen wird, habe ich darin nicht gefunden. Bedauerlich, dass gerade ein feministisch anmutendes Anliegen es versäumt, koloniale Erzählungen konsequent zu hinterfragen. Dabei könnte genau das die Stärke feministischer Kinderbuchliteratur sein - an Vorbildern für emanzipatorische Geschichten mangelt es jedenfalls nicht.

Natalie Wagner

Linda Schwalbe (Illustration und Text): Ida und die Welt hinterm Kaiserzipf. NordSüd Verlag, Zürich 2020. 64 Seiten, 18 EUR.

Öko als Klassenkampf

Als Expertin in Sachen Greenwashing hat Kathrin Hartmann sich längst einen Namen gemacht. Jetzt legt sie eine politische Streitschrift vor, in der sie darlegt, »warum wir mit der ökologischen Krise völlig falsch umgehen«. Bereits einleitend stellt sie fest, dass es darum gehen muss, die »ökologische und die soziale Frage als ein und dieselbe zu begreifen«. Viel zu lange schon hätten »Bio-Eliten« die ökologische Frage zu einer der »individuellen Moral« und des »Geldbeutels« gemacht, zu einem entpolitisierten »Hobby für Besserverdienende«. Dagegen stellt Hartmann klar, dass die ökologische Krise immer auch »Klassenfrage« ist. Anstatt Arme zu denunzieren, weil sie durch die Verhältnisse gezwungen sind, billig bei KIK zu kaufen, gelte es, die Reichen zu kritisieren, die einen viel größeren ökologischen Fußabdruck haben. Statt grünem Kapitalismus, der am Wachstumszwang nichts ändert, müssten wir endlich »ökologische, soziale und Machtfragen miteinander verknüpfen und die ökologischen Kämpfe mit den sozialen Kämpfen verbünden, ganz besonders mit denen gegen Rechts«. Dabei komme es darauf an, eigene positive Alternativen zu formulieren und nicht nur gegen etwas zu stehen oder die »Obrigkeit bloß zum Handeln aufzufordern«. In Zeiten, in denen die ökologische Frage auch hierzulande endlich auf die Straße getragen wird, ein unbedingt lesenswertes und zu diskutierendes Buch - auch wenn Kathrin Hartmann sich zu den Alternativen noch etwas bedeckt hält.

Christian Hofmann

Kathrin Hartmann: Grüner wird`s nicht. Warum wir mit der ökologischen Krise völlig falsch umgehen. Karl Blessing Verlag, München 2020. 176 Seiten, 14 EUR.