Ich werde immer eine Tupamara bleiben
Yessie Macchi ist am 3. Februar in Montevideo gestorben
Die uruguayischen Tupamaros waren der Prototyp der Stadtguerilla, die Guevaras Fokustheorie unter urbanen Bedingungen erprobten. Nach ihrer militärischen Niederlage gelang es ihnen als einziger bewaffneten Organisation des Cono Sur, die Phase der Militärdiktatur politisch zu überleben. Heute sind sie im Rahmen der Frente Amplio an der Regierung beteiligt. Lange Zeit war das Bild der Tupamaros von ihren männlichen Mitgliedern geprägt. Dass dies nicht so blieb, ist in hohem Maße einer Frau zu verdanken: Yessie Macchi.
Yessie Macchi wird 1946 in Montevideo geboren. Als Vierjährige zieht sie nach Washington um, wo der Vater einen Posten als Militär bekleidet. Nach der Rückkehr an den Río de la Plata zieht Yessie in jungen Jahren von zu Hause aus und politisiert sich rasch. Innerhalb kurzer Zeit durchläuft sie mehrere politische Organisationen, von der Kommunistischen Jugend bis zum maoistischen MIR.
Schon bald langweilen sie die ideologischen Grabenkämpfe. Sie sucht eine praktische Antwort und bekommt Kontakt zur MLN, der Stadtguerilla, die die sozialistische Revolution im krisengeschüttelten Uruguay verwirklichen will. Im Jahr 1966 schließt sie sich der Organisation an. Unter der Präsidentschaft Jorge Pachecos, der das Land militarisiert und mit Notstandsdekreten regiert, eskalieren die Auseinandersetzungen. Für Yessie Macchi, die tagsüber als Sekretärin in einer multinationalen Firma arbeitet, wird das Doppelleben immer schwieriger. 1968 geht sie für ein Jahr nach Kuba, wo sie ein militärisches Training absolviert.
Nach ihrer klandestinen Rückkehr wird Macchi in den militärischen Sektor der MLN integriert. Die Tupamaros schrauben das Aktionsniveau hoch. Propagandaaktionen, Banküberfälle, Entführungen und die Besetzung von Kleinstädten lösen einander ab. Yessie Macchi ist an zahlreichen Aktionen beteiligt, so an der Einnahme einer Marinekaserne, bei der - ohne einen einzigen Schuss abzufeuern - ein riesiges Waffenarsenal erbeutet wird. Als eine der meistgesuchten Frauen Uruguays wird sie zwei Mal verhaftet und entkommt im Rahmen spektakulärer Massenfluchten beide Male aus dem Gefängnis.
Als Geisel des Staates gefangen gehalten
Bei den Wahlen im November 1971 unterstützt die MLN das neue Linksbündnis Frente Amplio, das mit 17 Prozent der Stimmen einen Achtungserfolg erringt. Zum neuen Präsidenten aber wird der Erzreaktionär Bordaberry gewählt, der den inneren Kriegszustand verhängt. Die Tupamaros, die lange Zeit unbesiegbar schienen, setzen auf Konfrontation. Ihr Ziel ist der bewaffnete Volksaufstand. Doch sie haben den Gegner unterschätzt. Das Militär, dem die Bekämpfung der Guerilla übertragen worden ist, zerschlägt die Bewegung innerhalb weniger Monate. Am 13. Juni 1972 gerät auch die Gruppe um Yessie Macchi in ein Feuergefecht mit der Polizei, bei dem Yessies Compañero Leonel erschossen wird. Sie selbst wird schwer verletzt festgenommen. Zum Zeitpunkt der Verhaftung schwanger, verliert sie ihr Kind auf Grund von gezielten Tritten in den Unterleib.
Yessie Macchi wird ins Militärhospital gebracht, in Gips gelegt und wie eine Beute zur Schau gestellt. Man schickt sie durch verschiedene Kasernen des Landes. Eine Woche vor dem Putsch der Militärs werden 1973 je neun Frauen und Männer zu Geiseln des Staates erklärt. Unter barbarischen Bedingungen hält man sie in winzigen Verliesen und foltert sie immer wieder. In einem dieser Kerker lernt Yessie einen Mitgefangenen kennen, mit dem sie sich durch die Zellenwand verständigen kann. Mit der Zeit entwickelt sich eine "klandestine Romanze". Es gelingt ihnen, unter schwierigsten Bedingungen ein Kind zu zeugen. Eine Entscheidung für das Leben inmitten einer Atmosphäre des Todes. Als ihre Schwangerschaft offenkundig wird, wird Yessie in das Frauengefängnis Punta de Rieles verlegt. Im Gefängnis wird ihre Tochter Paloma geboren, die bei den Großeltern aufwächst.
Anders als die Männer setzen die Frauen im Kampf gegen das Knastregime eine horizontale Organisation durch und heben die Trennung nach politischen Organisationen weitgehend auf. Sie pochen auf die Autonomie des Gefangenenkampfes, geben aber auch keine Ratschläge in Bezug auf die draußen zu befolgende politische Linie.
1985 tritt eine neu gewählte Zivilregierung ihr Amt an. Für die letzten politischen Gefangenen - unter ihnen Yessie Macchi - öffnen sich endlich die Gefängnistore. Die ersten Tage und Wochen der Freiheit sind wie ein Rausch. "Dann kam die Zeit, die wir die Depression nach der Freilassung nennen."
Die Wiedereingliederung in das Alltagsleben ist extrem schwer. Die familiären Beziehungen sind belastet. Die eingefrorenen Gefühle müssen wieder aufgetaut werden. Viele Partnerschaften gehen nach Jahren der Trennung in die Brüche. Die erste Zeit ist "wie ein Taumeln". Auch später treten Retraumatisierungen auf. Es ist ein beständiger Kampf gegen die Selbstzerstörung.
Nach der Freilassung: das Trauma der Freiheit
Die Doppelbelastung der Frauen führt dazu, dass sie in ihrer politischen Präsenz zurückgedrängt werden. Hinzu kommt die erneute Konfrontation mit den vertikalistischen Strukturen der politischen Linken. "Plötzlich hingen wir in etwas drin, was für uns schon ein Anachronismus war." Mit den Jahren geht Yessie Macchi immer stärker auf Distanz zur offiziellen Linie der MLN. Sie kritisiert die Umdeutung des bewaffneten Kampfes zu einer Art "bewaffneten Patriotismus", wie sie im Rahmen der Integration der Tupamaros in das parlamentarische System von führenden Ex-Guerilleros vorgenommen wird. Genauso wenig beteiligt sie sich an der Verklärung dieser Phase des Kampfes und verweist "auf die hohen sozialen und persönlichen Kosten" der Gewalt. Für Mythenbildungen ist sie nicht zu haben, ihr Grundverständnis ist ein kritisches Verhältnis zur Macht.
Ihr eigener Weg ist die Rückbesinnung auf die sozialen Kämpfe, insbesondere die der Frauen. Sie arbeitet als Hörfunkjournalistin und ist Mitbegründerin der linken Nachrichtenagentur COMCOSUR. In Deutschland wird sie durch den Film "Und plötzlich sahen wir den Himmel" und das Buch "Aber wir haben immer auf das Leben gesetzt" bekannt. Yessie Macchi verkörpert die andere Geschichte der Tupamaros, die unabgegoltene, mit der kein Staat zu machen ist. Eine Rebellin.
Theo Bruns
An dieser Stelle sei auf das Interview mit Yessie Macchi verwiesen, das 1998 in ak 416 erschienen ist.