Das Ende eines Gespenstes
Fantômas hat sein Erscheinen eingestellt
Fantômas wird es nicht mehr geben. Mit der Nummer 13 haben wir das Erscheinen eingestellt - überraschend für uns und sicher auch für viele LeserInnen. Eine ausführliche Bilanz dieses Projektes ist an dieser Stelle nicht möglich. Sie wird erst noch gezogen werden müssen. An dieser Stelle soll aber zumindest an unseren gemeinsamen Ausgangspunkt erinnert und das abrupte Ende, soweit möglich, erklärt werden.
"Zu rebellieren und zu denken wagen" hieß der Titel der ersten Ausgabe von Fantômas im Sommer 2002. Fantômas war als Themenheft und als Halbjahres-Magazin der Monatszeitung ak - analyse & kritik konzipiert. Das Format des Themenheftes sollte die Möglichkeit eröffnen, aktuelle Entwicklungen aus unterschiedlichen Perspektiven gründlich zu beleuchten.
Der Titel war ebenso programmatisch wie der Name des Magazins: eben Fantômas. Unser Bezugspunkt war nicht der Comedy-Fantômas eines Louis de Funès und Jean Marais, sondern der Fantômas des Regisseurs Louis de Feuillade, der zwischen 1908 und 1925 in 502 Filmen sein Unwesen trieb. Dieser Fantômas - so ein Kritiker - war "eine offene Tür zur Freiheit." Fantômas entzog sich allen Zuschreibungen und Identitäten, er glich weder den Herrschern noch den Beherrschten. Er war im besten Sinne subversiv. Ein Gespenst eben, das mal hier und mal dort auftauchte.
Der Ausgangspunkt
Mit diesem Fantômas wollten wir den Möglichkeitsspielraum ausloten, der sich mit Seattle, Genua und Porto Alegre eröffnet hatte. In diesen Bewegungen war eine neue Subjektivität zu erkennen: getragen vom Wunsch, die Vielfalt als produktive Kraft zu begreifen, und vom Bewusstsein eines notwendig gemeinsamen Kampfes. Eine Subjektivität, die die neoliberale Globalisierung bekämpft und weiß, dass der Fluchtpunkt nicht der Nationalstaat, sondern nur eine andere Form von Globalisierung sein kann. Insofern war diese "Bewegung der Bewegungen" auch eine Antwort auf die historische Krise der Linken, deren Scheitern mit dem Epochenbruch von 1989 offensichtlich geworden war. Den Möglichkeitsspielraum auszuloten, hieß für uns immer auch, uns mit der eigenen, linken Geschichte auseinanderzusetzen. Unsere Schlussfolgerung war, dass der Pluralismus in der Linken die historische Voraussetzung des Neubeginns ist. Denn erst die Anerkennung der Differenz ermöglicht die Offenheit für Debatten.
Theoretisch hieß dies für uns, die jeweiligen Ansätze - Marxismus, (Post-) Strukturalismus, (Post-) Operaismus und (Post-) Feminismus - in Kommunikation zu bringen und sie möglichst stark zu machen, anstatt sie mit dem Verweis auf ihre offensichtlichen Schwächen zu verwerfen: Wie ist heute Befreiung zu denken? Gibt es eine emanzipatorische Dimension von Biopolitik? Welche Qualität haben die neuen Formen von Arbeit und Arbeitskämpfen? In welchem Verhältnis steht die Globalisierung zu den Nationalstaaten?
Wer mit solchen Fragen den Möglichkeitshorizont emanzipatorischer Politik erkunden will, muss sich natürlich auch mit den Mächten befassen, die diesen begrenzen - vom repressiven Polizei- und Sicherheitsstaat, wie er in Genua zutage trat, über reaktionär-faschistoide Fundamentalismen bis zu den imperialen Mächten, die mit ihren Ausgrenzungs- und Sicherheitskriegen die Aufrechterhaltung der kapitalistischen Weltordnung gewährleisten wollen.
Das Ende
Damit ist der inhaltliche Horizont skizziert, in dem wir uns bewegten. 13 Nummern sind seit unserem Startschuss erschienen. 13 Mal versuchten wir, ein Debattenorgan zu produzieren, in dem unterschiedliche praktische Ansätze, aber auch theoretische Zugänge und Sprechweisen ihren Platz hatten. Das Heft 11 zum G8-Gipfel mit dem Titel "Die Deutung der Welt. Kritik, Protest, Widerstand" war eine Gemeinschaftsproduktion von ak - analyse & kritik, Arranca, So oder So und Fantômas. Mit den allermeisten Heften waren wir zufrieden. Einige haben sich - wie Fantômas selbst - unserem Zugriff entzogen. Dies war in letzter Zeit häufiger der Fall. Und so war uns schon seit 2007 klar, dass Fantômas eine Neuorientierung braucht. Die neue Folge sollte weniger "Kommandoerklärungen" enthalten und stattdessen die aufgeworfenen Themen eine Nummer kleiner behandeln.
Obwohl nach dem angedachten Relaunch zwei sehr gute Hefte entstanden sind, ist es zu dieser grundsätzlich neuen Ortsbestimmung aber nicht gekommen. Zugleich war die Zukunft von Fantômas ungewiss. Anfang 2008 äußerte die ak-Redaktion den Wunsch, die beiden bislang organisatorisch und ökonomisch eng verknüpften Projekte stärker voneinander zu trennen. Einige von uns fühlten sich dadurch demotiviert und verunsichert. Zugleich formulierte ein Teil der Fantômas-Redaktion das Anliegen, Fantômas enger als bislang an die Prozesse und Debatten der Interventionistischen Linken anzubinden. Ein anderer Teil sah darin einen Rückfall hinter den Ausgangspunkt von Fantômas und eine Einhegung des Gespenstes, das unserer Zeitschrift einst den Namen lieh. Kurz: Eigentlich hätten wir eine Menge zu klären, diskutieren und vor allem zu tun gehabt. Eigentlich.
Denn dann kam alles anders. Praktisch von einem Moment auf den nächsten ist die ganze soziale Situation innerhalb der Redaktion auseinandergefallen. Der Clash kam für uns alle so plötzlich, dass wir als Kollektiv hier nicht viel mehr tun können, als ihn festzustellen. Wir haben keine gemeinsame Deutung von dem, was passiert ist, und dass wir sie nicht haben, reflektiert vor allem, wie tiefgreifend der Bruch ist. Ein Bruch, für den wir nicht alle gleichermaßen verantwortlich sind, aber wir haben gemeinsam kein Interesse daran, hier irgendwelche persönlichen Verantwortungen zuzuweisen.
Sicher ist nur dies: All die oben genannten Themen haben "irgendwas" mit unserem Zerfall zu tun - und doch ist dieser Zerfall genau darauf nicht zu reduzieren. Sichtbar geworden ist in ihm vielmehr, dass auch innerhalb einer Gruppe, die lange Jahre von konstruktiver Zusammenarbeit und auch von Freundschaften getragen wurde, individuelle Machtansprüche und Kommunikationsunfähigkeiten, sich festigende Rollenzuschreibungen und mehr oder minder verdeckte Hierarchien zusammen mit einer nicht ausdiskutierten Differenz von Politikkonzepten ein reichlich destruktives Gemisch bilden können.
Die Lage der Dinge
Aus der Unmöglichkeit einer tatsächlichen Klärung hat die Hälfte der Redaktion die Konsequenz gezogen, auszusteigen. Die andere Hälfte wird wahrscheinlich in anderer Form und unter anderem Namen weiterarbeiten. Wie dies aussehen kann, ist derzeit noch unklar. Mit dieser Lösung sind wir nicht glücklich, aber eine andere haben wir nicht. Zur Lage der Dinge gehört aber auch der Hinweis, dass wir trotz aller Differenzen und trotz des abrupten und unbefriedigenden Endes viel Spaß bei der Arbeit hatten. Das gegenseitige Verständnis hat uns lange Zeit getragen.
Da wir glauben, dass es sich lohnt, die existierenden Fantômas-Hefte auch in Zukunft zu lesen, wollen wir darauf hinweisen, dass alle Hefte weiterhin über den aki-Verlag zu bestellen sind.
Wir danken allen, die uns auf unseren Wegen in den letzten Jahre begleitet haben. Dies gilt insbesondere den LeserInnen, über deren Zuspruch wir uns gefreut haben und deren Kritik für uns Ansporn war, die Sache beim nächsten Mal besser auszukämpfen. Wir danken denjenigen, die für uns geschrieben haben. Wir danken den Menschen im Verlag, die die Texte korrigiert, das Layout gestaltet, den Versand organisiert und uns technisch unterstützt haben. Den vielen Leuten eben, ohne die ein Magazin wie Fantômas gar nicht gemacht werden kann. Und wir danken der autonomen Bildredaktion und den KünstlerInnen, die ab Heft 5 dafür sorgten, dass die Fotos und Bilder ein eigenständiger Bestandteil der Hefte wurden, was in politischen Magazinen immer noch die Ausnahme ist.
Die Fantômas-Textredaktion