War reloaded. Die Globalisierung, die Linke, der Krieg. Fantômas 3
Nur wenige IdeologInnen haben sich gründlicher blamiert als die Propheten eines "Endes der Geschichte", die zu Beginn der 90er Jahre ein global village immerwährenden Friedens und umfassenden Wohlstands heraufziehen sahen. Zwar fielen mit dem staatssozialistischen Block die Grenzen, die dem Kapitalismus westlicher Prägung in der Oktoberrevolution gezogen worden waren. Doch erweist sich die Entgrenzung des Kapitals zum weltgesellschaftlichen Verhältnis für die Mehrheit der Menschen als Globalisierung eines Gewaltverhältnisses. In diesem wirkt Gewalt einerseits als strukturelle Gewalt einer vielfältig ausdifferenzierten Ausbeutung, andererseits als wörtlich zu nehmende Gewalt einer in wachsendem Maß barbarische Züge annehmenden Überlebenskonkurrenz. Davon handelt dieses Heft.
Der Krieg gegen den Irak war dabei für uns nur der Anlass, und er stellt auch nur einen, wenn auch wichtigen Aspekt der Gewaltform des Weltkapitalismus dar. Dass die mit den Kategorien der klassischen Imperialismustheorie nicht zureichend verstanden und durch den klassischen "Antiimperialismus" nicht überwunden werden kann, ist die These nicht nur unseres eigenen, den anderen Artikeln vorangestellten Beitrags, sondern auch des Positionspapiers der Redaktion von DeriveApprodi und des Interviews, das Tom Binger mit Thomas Seibert führte. Was dabei angerissen wird, führen die Beiträge des Blocks Krieg und Globalisierung weiter aus. Volker Böge, Helmut Dietrich und Klaus Ronneberger untersuchen im Blick auf die sogenannten "neuen Kriege", auf die weltweite Migration und auf den Zusammenhang von internationalem, nationalem und lokalem Sicherheitsregime, inwiefern staatliche Gewalt weniger Strategien der Eroberung und der Aneignung, als vielmehr solchen der Kontrolle und der Ausgrenzung folgt. Gaby Zipfel zeigt in ihrem Beitrag, dass und wie diese Gewalt immer auch sexuelle Gewalt impliziert - und damit eine Brutalisierung von Geschlechterverhältnissen, die weder Exzess noch Ausnahme, sondern unmittelbare Kriegslogik selbst ist. Alexander Flores untersucht am Beispiel der Hamas Geschichte und Kontext des islamistischen Terrors als des momentan wohl prominentesten "Feindes", den das globale Sicherheitsregime unter Kontrolle zu bringen sucht.
In den Verwerfungen, die dessen Durchsetzung auch und gerade in der Linken auslöst, ergreifen die Artikel des zweiten Blocks Der Krieg und die Linke prononciert Partei, in dem Jens Renner, Werner Rätz, Moe Hierlmeier und Andreas-Thomas Vogel zum Bellizismus, zur Friedensbewegung und zur Geschichte der Stadtguerilla Stellung beziehen. Den radikalen Widerstand gegen jede Gewalt artikuliert zum einen das Portrait des Wehrmachtsdeserteurs Ludwig Baumann von Theo Bruns und Stefanie Graefe, zum anderen die am Ende des Hefts dokumentierte Hamletmaschine Heiner Müllers. Um Zeugnis ablegen zu können vom unermesslichen Leiden an der Herrschaftsgeschichte und der Notwendigkeit, zuerst und zuletzt ihren Opfern eine Stimme zu verleihen, sei sein Platz, so schrieb der 1995 verstorbene Dramatiker, immer auf beiden Seiten der Front gewesen.
Redaktion Fantômas