Frauen im Aufbruch
Subjektive Perspektiven auf eine Bewegungsgeschichte
Die Geschlechterverhältnisse sind in politischen Gruppen ein Thema - zumindest gelegentlich. Frauenhäuser sind anerkannt - und ständig gefährdet. Frauenquoten sind üblich - und nie erreicht. Feministische Theorien sind in Unis und Bibliotheken zu finden - und immer noch randständig. Lesbisch zu leben ist sichtbarer geworden - doch eher geduldet. 30 Jahre Frauenbewegung haben die Gesellschaft und die Frauen verändert. Fünf Frauen unterschiedlichen Alters erinnern sich an ihre Suchbewegungen im Politischen wie Privaten, an ihre Konflikte und Ambivalenzen, an erreichte und unerreichte Ziele.
"Als würde ich auf einmal kapieren, wie Macht funktioniert"
Die Frauenbewegung - besser gesagt: der Feminismus - das war für mich über nicht wenige Jahre meines Lebens schon eine Art ideeller Heimat. Was heißt, dass mich die Frage, wer "wir" Frauen/Feministinnen/linke Feministinnen eigentlich sind, was es heißt, als solche Politik zu machen und was es heißt, als solche in dieser Gesellschaft und mit anderen Menschen, Frauen und Männern, zusammen zu leben, sehr beschäftigt hat. Diese Frage überhaupt so zu stellen, das war eine Zeitlang fast täglich eine Entdeckungsreise: Einmal sensibilisiert, war es frappierend, überall im Alltag damit konfrontiert zu sein, wie männerzentriert, geschlechterfixiert diese Gesellschaft organisiert ist. "Frauenräume" - das war nicht nur eine abstrakte Forderung, das war ein Lebensentwurf, in dem es darum ging, einander mehr Respekt entgegen zu bringen und solidarischer miteinander zu sein, als wir es in der "Normalgesellschaft", aber auch innerhalb der linken Szene erlebten.
Und das hat zum Teil sogar funktioniert, in dieser Zeit, Anfang der 1990er Jahre. Es war eine wichtige Erfahrung, mit vielen Frauen unterwegs zu sein, die dem herrschenden Frauenbild nicht entsprechen wollten. Wobei das natürlich immer ambivalent war, gerade unter Hetero-Frauen. Ich erinnere mich an eine Kneipendiskussion, wo es darum ging, einmal, eine Nacht lang, "den Mann" zum - sexuellen - Objekt zu machen. Ob das eine wichtige Erfahrung sein könnte - und wie das eigentlich geht. Ob wir es überhaupt wollen.
Auch politisch war es in der Zeit so, dass es die Frauen waren, die sich eine zentrale Frage am konsequentesten gestellt haben, nämlich die Frage nach der eigenen Verstrickung in Macht-/Herrschaftsverhältnisse. Die die Auseinandersetzung um Rassismus beispielsweise nicht nur als abstrakte Analyse allgemeiner Herrschaftsverhältnisse verstanden, sondern als Aufforderung, die eigene Lebens- und Denkweise zu verändern. Ich weiß noch, wie ich eines Tages in der S-Bahn saß und über den Text einer schwarzen Feministin nachdachte, den ich gerade gelesen hatte, und auf einmal bemerkte, wie sich mein Weltbild verschiebt, wie die Dinge in einem ganz anderen Licht erscheinen. Als würde ich auf einmal kapieren, wie Macht funktioniert - auf der Ebene, wo sie nicht in Formvon Gefängnissen, Gesetzen, Schlagstöcken oder Fabrikausbeutung sicht- und angreifbar ist, sondern im ganz normalen Alltag; in den Gefühlen, Wahrnehmungen, Wünschen und Träumen. Was das angeht, habe ich vom Feminismus mehr gelernt, als in Kindergarten, Schule und Konfirmationsunterricht zusammen.
Aber irgendwann kippte es um. Aus der richtigen Erkenntnis, dass Macht angreifen bedeutet, auch die eigene Verstrickung in Macht zu hinterfragen, wurde etwas, das die Kreativität und Produktivität des autonomen linken Feminismus schließlich - neben dem allgemeinen Niedergang der Linken - absterben ließ: die Debatte um sexuelle Gewalt in der Linken und- so hieß das damals - "Täterschutz". Der richtige Ansatz, über Gewalt und Macht auch in der eigenen Subkultur zu sprechen, diesbezügliche Tabus brechen und darauf aufmerksam machen zu wollen, wie verbreitet und "normal" sexuelle Gewalt in einer patriarchalen Gesellschaft ist etc. - all dies ist da in ein Moralregime umgeschlagen, das intellektuell sehr eng und politisch sehr rigide war. Plötzlich schien das die alles entscheidende Frage zu sein: Wer ist Sexist? Wer hat mit Sexisten zu tun? Wer kennt eine/n, der/die mit Sexisten zu tun hat - und wer sorgt dafür, dass alle diese Leute szeneöffentlich gemacht werden? Der Spaß am Linke-Feministin-sein ging - mir jedenfalls - dabei irgendwann flöten.
Der Spaß am Nachdenken aber nicht. Auch wenn heute viel über die feministische Wende zur "Dekonstruktion" in den 1990ern geklagt wird - wegen zu viel Konzentration aufs geschriebene Wort und zu wenig aufs "wirkliche Leben": Ich bin einfach sicher, dass eine politische Bewegung ohne Theorie nicht auskommt. Dass die feministische Theorie lange Zeit, was die Radikalität im Denken angeht, richtungsweisend war finde ich klar; aber auch, dass man den feministischen Theoretikerinnen nicht vorwerfen kann, dass sie nicht gleichzeitig auch "die Bewegung" gemacht haben. Ich glaube, es ist eher umgekehrt: dass "die Linke" und eben immer auch Teile der Frauenbewegung über lange Zeit so theoriefeindlich waren, hat auch zu ihrer Schwäche in den 1990ern beigetragen.
Irgendwo da hat der Feminismus sein Projekt verloren. Was nichts damit zu tun hat, dass sich die Geschlechter-Machtverhältnisse tatsächlich geändert hätten. Und deshalb ist dieses Projekt meiner Meinung nach immer noch aktuell, wobei mir inzwischen nicht mehr wichtig wäre, es "feministisch" zu nennen. Aber solange die Menschen, die man "Frauen" nennt, weltweit immer noch weniger Rechte, Einkommen, Macht haben und weniger Respekt genießen als die Menschen, die man "Männer" nennt - und wenn wir wirklich kapiert haben, dass wir nicht "Frauen" und "Männer" (und letztlich auch nicht lesbisch, hetero, homo, queer oder sonst was) sind - dann wüsste ich eigentlich nicht, was an der alten Frauendemo-Parole "Feuer und Flamme fürs Patriarchat" falsch sein sollte.
Tina, Jahrgang 1966, war 1988 auf der Demo für die Freilassung von Ingrid Strobl in Essen begeistert von der Idee, dass Frauen weltweit den ganzen Scheiß nicht mehr mitmachen.
"Es ging erst mal um die eigene Befreiung"
Kinder, Kirche, Mann - das war der Grund für eine Frau auf der Welt zu sein und so bin ich aufgewachsen: konservativ und christlich. Ich war sehr mit den Schuldgefühlen der Erbsünde beschäftigt, dass Eva Adam mit dem Apfel verführt hat - die Schuld der Frau. Da gabes kein Drumrum und eine sexuelle Aufklärung gab es auch nicht, nur die Geschichte mit der unbefleckten Empfängnis.
Mit der Frauenbewegung bin ich zwischen 1975 und 1980 in Berührung gekommen. Damals dachte ich noch: "Wenn die erst mal den Richtigen gefunden haben, dann hört das Geschrei auch wieder auf". Der ganz offensichtliche Sexismus fiel mir damals gar nicht auf - z.B. dass Ehefrauen bis 1976 ohne die Erlaubnis ihres Mannes kein Konto eröffnen oder einer Arbeit nachgehen durften.
Aber das Lesbischsein spielte und spielt in meinem Leben eine zentrale und sehr schwierige Rolle. Als ich so 20 oder 30 war, waren lediglich die Schwulenwitze und sonst nichts über Homosexualität bekannt - da war die Heterosexualität ein langer und selbstzerstörerischer Umweg für mich. So muss ich letztendlich sagen, dass ich der Frauenbewegung meine Existenz verdanke - anerkannt leben ohne Mann und ohne Kinder und als Lesbe. Sonst hätte ich ewig geglaubt, mich umbringen zu müssen. Es ging mir um das Recht auf eine eigenständige Lebensform, was ja wahrlich nicht nur Lesben betrifft.
Zwischen '85 und '90 bin ich dann endgültig in die Frauenbewegung gegangen. Ich machte bei den Ausläufern einer Selbsthilfegruppe mit, die sich mit sexueller Gewalt auseinander gesetzt hat. Das war heftig. Ich musste erst einmal lernen zu sprechen.
Diese Gruppen waren sehr wichtig für die Frauenbewegung, aber die einzelnen waren damit dann auch schnell überfordert. Inzwischen gibt es sehr viel feministische Heilangebote und Therapien, die gab es damals ja noch nicht, das war absolut männerdominiert.
Ich war aber auch in vielen Gruppen, die öffentlich Politik gemacht haben. Wichtige Themen zu der Zeit waren immer noch der Paragraph 218, die Kritik an Gentechnologie und die damit zusammenhängende Repression und natürlich der Dauerbrenner Gewalt gegen Frauen. Dabei ging es auch immer um radikale Gesellschaftskritik und Veränderung des Systems. Aber die Frauen in der Frauenbewegung hatten zu viel zu bewältigen, um die Forderungen, die sie an Systemveränderung hatten auch weiter zu verfolgen. Die Hoffnung war, dass ein verändertes Bewusstsein auch die Gesellschaft verändert - aber das hat sich nicht erfüllt.
Systemveränderung wäre natürlich auch Anliegen einer gemischten Bewegung gewesen, aber die Separierung hat angefangen, weil die Frauen vorher eben in gemischten Gruppen gearbeitet haben. Es war notwendig sich abzuspalten, weil es für die eigene Entwicklung wichtig war, sich nicht immer auf Männer zu beziehen, den Sexismus und sexuelle Anmache nicht ertragen zu müssen, dieses lächerlich machen über Sexualität.
Wir mussten erst mal diese ganze Komplexität aufarbeiten und verstehen, was wir wollen und wo wir auch selbst patriarchal sind. Dann gleichzeitig auch noch ein Kooperationsmodell wegen der Systemveränderung mit den Männern entwerfen - das war einfach zu viel und an den Orten hier auch nicht gewünscht. Es ging erst mal um die eigene Befreiung. Die Slogans, die dann irgendwann mal nach außen kamen, das war jahrelange Bewusstseinsarbeit.
Aber die Ansprüche an diese von Frauen für Frauen geschaffenen Räume waren überdimensional. Aus der Patriarchatskritik folgte, dass diese Orte besser sein müssten als das da draußen und das hieß: ein sehr hoher moralischer Anspruch und sehr viel Selbstkritik.
Dennoch waren diese Räume sehr wichtig - und sind es auch heute noch. Mit so einem Hintergrund können Frauen auch wieder in gemischte Zusammenhänge gehen. Für den Erhalt dieser parteiischen Räume muss natürlich immer wieder gekämpft werden, z.B. für die Frauenhäuser. Diese Räume sind eine der wesentlichen Errungenschaften der Frauenbewegung. Aber es gibt auch materielle und gesetzliche Erfolge. Vor allem gab es eine ganz wichtige Kulturarbeit.
Einige der Errungenschaften gehen aber auch nach hinten los. So wird beispielsweise die Möglichkeit, Männern polizeilich den Zugang zu ihren Wohnungen zu verbieten, wenn sie ihre Frauen misshandeln nun dazu verwendet, den Frauenhäusern das Geld zu kürzen. Das ist ein Bumerang geworden.
Trotz der Überforderung mit ihren eigenen Ansprüchen und der Anfeindungen von Außen, wünsche ich mir heute für eine Frauenbewegung, dass sie sich noch einmal intensiver mit einem alternativen Gesellschaftsentwurf beschäftigt. Das, was es dazu gibt - der Ansatz der Subsistenzwirtschaft beispielsweise - ist nicht ausreichend.
Franziska ist 61 Jahre alt und wohnt in einem Dorf nahe einer westdeutschen Großstadt. Sie ist heute wie damals in diversen autonomen Frauenprojekten aktiv.
"Ich hab mich nie wirklich als Feministin bezeichnet"
Ich fand die Frauenbewegung immer ein bisschen unpolitisch. Dass Zusammenhänge hergestellt wurden zu Imperialismus beispielsweise, das war insgesamt eher selten. Dennoch war das erstmal natürlich ein richtiger Impuls mit der autonomen Frauenbewegung. Aber ich hatte immer ein ambivalentes Verhältnis dazu. Hab mich mit Frauen wohler gefühlt, das ja. Wir hatten allerdings auch in bundesweiten gemischten Zusammenhängen kein Problem. Da haben wir uns schon durchgesetzt. Was allerdings dazu führte, dass man selbst ein bisschen so wurde, wie die Männer. Mit den Frauenbewegungsfrauen haben wir uns ziemlich gefetzt, in den 1970ern und Anfang der 1980er. Allerdings war das zu der Zeit auch ganz normal, dass sich Gruppen zerstritten haben.
Ein Problem aus meiner Sicht ist, dass die Frauenbewegung sich lange von den anderen Bewegungen abgegrenzt hat. Und zwar so abgegrenzt, dass selbst 1977, als wir alle davon überzeugt waren: "Mord in Stammheim" - da wurden aus den Plakaten die Männer rausgerissen. Die Frauen wurden gelassen. Umgekehrt habe ich schon in den 70er Jahren Diskussionen geführt um die Frage: Was hab ich eigentlich mit Gabi Henkel (populäre Industriellenfrau, die Red.) zu tun? Bloß weil das eine Frau ist? Soll ich mich der verbunden fühlen? Innerhalb der Frauenbewegungs-Frauen konntest du so was aber kaum äußern.
Trotzdem empfand ich das immer als Stärke, unter Frauen zu sein. Das war die Zeit, wo viele dann aus Überzeugung Lesben wurden. Manche haben sich die Doppelaxt um den Hals gehängt, aber waren im Grunde gar keine Lesben. Nach fünfzehn Jahren oder so haben sie's dann gemerkt. Fast alle hatten aber irgendwann Frauenbeziehungen, wenigstens für eine Weile. Ich auch - und ich bin dabei geblieben.
Ich hab mich nie wirklich als "Feministin" bezeichnet. Obwohl ich so viel mit Frauen gemacht habe und Frauenbeziehungen hatte. Der Frauenbewegung gegenüber blieb ich skeptisch. Mit der Lesbenbewegung konnte ich auch nie viel anfangen. Die fand ich meist ein bisschen eingeschränkt in ihrem politischen Weitblick. Und wie die Männer ausgeschlossen haben, das fand ich unerträglich. Ich hatte auch mal eine kurze Phase wo ich dachte, alle Männer sind meine Feinde. Das Problem dabei ist: Wenn du das so denkst, dann setzt du dich selbst automatisch als Opfer.
Natürlich war das ambivalent. Als wir mal bei einem Wochenende Ende der 1980er Jahre das Thema "Männer und Frauen" diskutiert haben, gab es zwei Aspekte, die mir aufgefallen sind. Erstens: wie viele Frauen Missbrauchserfahrungen hatten. Das war mir vorher nicht klar gewesen. Hast du nicht gemerkt, hast du nicht beachtet. Zweitens aber dann die Diskussion, wie man damit umgeht. Aber dann sagte eine: "Ich will die Anerkennung als Opfer". Das fand ich schwierig. Wenn du einforderst, als Opfer anerkannt zu werden, wirst du irgendwann auch als Opfer behandelt. Ich fand es immer wichtiger, Stärke zu entwickeln.
Das war zum Beispiel bei Frauen in gewerkschaftlichen Zusammenhängen anders. Die haben um gleichen Lohn für gleiche Arbeit und um ökonomische Unabhängigkeit gekämpft. Wir haben das immer sehr gering geschätzt. Weil die meisten von uns von Sozi gelebt haben, geklaut haben und das für die nicht wichtig war. Wir haben das nicht ernst genommen, weil diese Frauen dann gleichzeitig mit fünf Kindern im Reihenhaus saßen und ihr Lebensstil mit uns überhaupt nichts zu tun hatte. Wenn Gewerkschaftsfrauen irgendwelche Demos machten, haben wir uns nicht beteiligt. Die Arbeitswelt war sehr weit weg für uns. Das war auch mit einem bestimmten Politikverständnis verbunden. Wir wollten ja die Welt auf den Kopf stellen und die Revolution - gewerkschaftliche Kämpfe hatten damit aus unserer Sicht nichts zu tun.
Ob ich die jungen Frauen heute emanzipierter finde? Nee. Die können sich mehr leisten, als ich das konnte, die sind freier auf der Straße, können rauchen, können anziehen, was sie wollen, hingehen, wohin sie wollen. Aber ihre Lebensziele sind auch nicht unabhängiger. Es stimmt, heute sagt manche junge Frau, das ist Kulturstandard für mich: dass ich tun und lassen kann was ich will. Aber diese wahnsinnig selbstbewussten Frauen sind oft privilegierte Frauen, oder Töchter von 1968er-Eltern. Dieses Selbstbewusstsein von den jungen Frauen heute, das ist nicht nur ein Ergebnis der Frauenbewegung, sondern vor allem ein Ergebnis von '68 als einer politischen Bewegung, die das gesamte gesellschaftliche Klima liberalisiert hat - eine Liberalisierung, die der Kapitalismus ja auch brauchte, um so funktionieren zu können, wie er heute funktioniert.
Früher fühlten wir uns in unserer Würde beeinträchtigt, wenn wir als Frau vermarktet wurden. Viele junge Frauen heute stört das gar nicht mehr. Das ist zwar einerseits eine Stärke, dafür haben sie aber auch zu anderen Sachen keinen Widerspruch mehr. Ich glaube, dass die, diese Kämpfe durchgefochten haben, viel für sich gewonnen haben. Das ist doch ein Unterschied, ob du dir was erkämpfen musst, oder ob du einfach selbstverständlich darüber verfügst. Wenn du nicht kämpfen musst, fällst du auch immer wieder zurück.
Anna, 59 Jahre alt, jahrzehntelang in autonomen/antiimperialistischen Zusammenhängen einer westdeutschen Großstadt aktiv.
"Es war nicht nötig organisiert zu sein, um diesen Aufbruch mitzubekommen."
Feministische Bewegung", das sind für mich erst einmal die großen Demos zum § 218 und "Selbstbezichtigungsanzeigen" von Frauen, die abgetrieben haben. Ich bin in einer sozialdemokratisch-gewerkschaftlich orientierten Arbeiterfamilie groß geworden. Dass es außerhalb von Arbeit und Produktion politisierbare Gebiete gibt, das war für mich ungeheuer aufregend. Es war nicht eine politischen Analyse, sondern die schlichte Tatsache, dass alte und junge Frauen, berühmte und weniger berühmte, gesellschaftlich sichtbar wurden und sich gemeinsam gegen staatliche Regeln in Sachen Kinderkriegen zur Wehr setzten. Dass damit auch die Politisierung der Geschlechterverhältnisse gemeint war, habe ich erst durch die Debatten, die sich rund um die Themen der Berliner Sommeruniversitäten 1976 und 77 bildeten, erahnt. Der Aufsatz von Gisela Bock und Barbara Duden "Arbeit aus Liebe - Liebe als Arbeit", der die Herausbildung der bürgerlichen Arbeitsteilung zum Thema hatte, ging durch viele Frauenhände. Die Debatte um die unsichtbare und unbezahlte Reproduktionsarbeit von Frauen, wurde an WG-Tischen, in Unis und den vielen Frauengruppen, die es damals gab, diskutiert. Auch innerhalb der Gewerkschaften entstanden Frauengruppen. Das war so eine Atmosphäre, dass es ständig etwas zu erkennen gab, dass die Geschichte aus Frauensicht neu erzählt werden kann, dass der Alltag und die Geschlechterbeziehung, der Körper politisch sind. Das habe ich eher als interessierte Zeitgenossin erlebt. Es war auch nicht wirklich nötig organisiert zu sein, um diesen Aufbruch mitzubekommen. Das lag förmlich auf der Straße, war in feministischen Kongressen und Zeitungen, in Büchern und Gesprächen präsent.
Nach meiner Erinnerung suchte "die" Frauenbewegung Anfang der 1980er Jahren nach neuen Ansatzpunkten, die Anti-Atom-Bewegung strauchelte, gleichzeitig wurden über die wirklich großen Gesundheitstage die Geschichte und Gegenwart der Medizin, die Psychiatrie u.a.m. problematisiert. Manchmal bedarf es da nur eines minimalen Anstoßes, persönlich wie bewegungsbezogen, um neue Richtungen einzuschlagen. Das war für mich die Veranstaltungsreihe "Sprengen wir das Programm" im Umfeld der Zeitschrift "Autonomie" über polizeiliche Überwachung, Konditionierung in Knästen und mittels Gentechnologie. Kurz danach explodierte die Debatte von Frauen und Frauengruppen um Reproduktions- und Gentechnologie. Die politischen Debatten zu den Naturwissenschaften, zur Rolle der Frauen dort, zum Rationalitätsbegriff, die Kritik an Bevölkerungspolitik, all das hat heute noch Bestand und knüpfte an die Problematisierungen der 1970er Jahre an. Der Frauenkongress zu Gen- und Fortpflanzungsmedizin 1985 mit mehr als 2.000 Frauen war in dieser Hinsicht ein Aufbruch. Es gab einerseits sofort internationale Organisierungen, andererseits war die Debatte um eugenische Bevölkerungspolitik um nationalsozialistische Kontinuitäten zentriert. Das hatte u.a. mit den Anschlüssen hin zur Behindertenbewegung zu tun. Aber auch mit den Nachwirkungen der §218-Bewegung, deren Selbstbestimmungsbegriff damals als Abwehr gegen staatliche Übergriffe funktionierte, uns nun aber auf die Füße fiel. Was, wenn Frauen eugenische Angebote wollen? Diese Debatte um die "Bio-Macht" und ihre Subjekte gibt's ja immer noch.
Ein Ereignis hat dann die außerparlamentarische Bewegung um Bio-Macht und auch die Frauen, die mittlerweile in Medien, Politik und Unis Fuß gefasst hatten, mobilisiert. 1987 wurden 33 Wohnungen und Arbeitsplätze in einer konzertierten Aktion durchsucht, zwei Frauen verhaftet und viele §129a-Verfahren eröffnet. Der Vorwurf: Mitgliedschaft in den Revolutionären Zellen und der feministischen Roten Zora. Und es gab die wirklich schöne Staatschutz-Kreation von "anschlagsrelevanten Themen", das waren auf feministischer Seite Gen- und Reprotechnologien, Sextourismus, Arbeitsbedingungen von Frauen im Süden. Das gab, zumindest eine Zeit lang, Aufschwung und ich würde sagen erstmalig seit 1977 funktionierte eine Politik der Kriminalisierung und vor allem Entsolidarisierung von Formen militanter Politik nicht. Es gab öffentlich wenig Hang zur Bekenntnispolitik für oder gegen Aktionsformen und mehr Öffentlichkeit um internationale Arbeitsteilung, Bio-Politik und Kriminalisierung.
Bio-Medizin, Bevölkerungspolitik, mittlerweile auch Gesundheitspolitik, Pflege sind ein Thema geblieben bzw. Ort politischer Aktivität geworden. Dass die langfristig wirkenden Organisationsformen mit explizit feministischen Sichten und Kritiken an politischer Ökonomie, nicht gefunden und radikale Analysen nicht hegemonial geworden sind, ist für mich kein Zeichen gescheiterter Politik.
Die Erkenntnisse von damals sind jedenfalls nicht verschwunden, sondern wirken weiter. Es gibt tolle soziologische, historische Arbeiten und politische Analysen zur Körperpolitik, Wissenschaftskritik und zum Geschlechterverhältnis. Das gäbe es ohne die feministische Bewegung nicht. Der Transfer in die Niederungen der politischen Arbeit und in den Alltag lässt derzeit einiges zu wünschen übrig. Mit Quoten-Forderungen und "Gender-Mainstreaming" oder anderen modernen Plastik-Worten, ist das jedenfalls nicht zu machen. Aber "Bewegungen" kann man nicht machen, die passieren: Spätestens dann können wir uns der vielen Erfahrungen erinnern, das Wissen auspacken und einen neuen Versuch starten.
Elisabeth ist 48 Jahre alt, lebt in einer westdeutschen Großstadt und bleibt am Ball.
Braucht es eine dritte Frauenbewegung?
In Bezug auf feministische Politik ist mir der Bewegungsaspekt am Wichtigsten. Im Moment wird Feminismus von vielen als etwas gesehen, was sich schwerpunktmäßig in Institutionen abspielt. Dabei wird völlig vergessen, dass es den außerinstitutionellen Druck braucht.
Eine Bewegung, die diesen Druck aufbaut, sollte unbedingt aus den Versäumnissen der zweiten Frauenbewegung lernen und z.B. auch den Standpunkt von Migrantinnen einbeziehen. Natürlich stellt sich die Frage, wie eine neue Bewegung zu starten ist - und ob es überhaupt eine dritte Frauenbewegung braucht. Viel eher glaube ich, dass eine "feministische" Bewegung oder "genderbewusste" Bewegung nötig ist, in der sich Menschen auch unabhängig von Geschlechtszugehörigkeit organisieren können. Die Aufgabe dieser Bewegung, die sich auch als ein Teil einer größeren Bewegung verstehen könnte, wäre dafür zu sorgen, dass feministische Aspekte überall in politische Praxis mit einfließen - z.B. überall dort, wo soziale Bewegungen in Erscheinung treten. Ich betone die feministischen Aspekte, weil sie eben noch lange nicht selbstverständlich sind - dafür muss erst wieder oder immer noch der Blick geschärft werden. Ich glaube, dass feministische Positionen immer wieder in den Hintergrund geraten, liegt auch daran, dass sie eine stärkere Selbstreflexion erfordern als andere Themen. Das ist aber gleichzeitig auch ihr emanzipatorisches Potenzial.
Auch "nach queer" ist eine feministische Bewegung unbedingt nötig. Identität in Frage zu stellen ist sehr wichtig. Das heißt aber nicht, dass die Forderung nach Frauenräumen, nach Räumen ohne Männer, überflüssig geworden ist. Das gilt auch, wenn ich sage, ich will eine gemischte Bewegung mit feministischen Inhalten. Es gibt weiterhin die Notwendigkeit der getrennten Organisierung - eben weil es zahlreiche patriarchale Gewalterfahrungen gibt. Das Bedürfnis, sich getrennt zu organisieren sehe ich aber eher bei älteren FrauenLesben - bei den über 30jährigen. Jüngere, die sich bei der Begegnung mit feministischen Politiken zuerst oder ausschließlich mit Dekonstruktion auseinandersetzen, haben manchmal kein Verständnis für getrennte Räume oder andere klassische Forderungen, die ja leider immer noch verdammt notwendig sind. Sie verstehen sich als queer oder als Dekonstruktivistinnen, aber nicht als feministisch. Das kann Positionen sehr schwächen. Queere Politiken sind ein wichtiger Teil von feministischen Politiken, aber eben nur ein Teil.
Ansatzpunkte für eine feministische Bewegung gibt es zahlreiche, überall dort wo sich Praxisfelder sozialer Bewegungen auftun, z.B. im Bereich Anti-Rassismus, Anti-Hartz-Proteste, etc. Auch in der Uni gibt es mit den Genderstudies durchaus kritisches Potenzial, doch dort fehlt oft jeglicher Bewegungscharakter oder Praxisbezug.
Innerhalb von Institutionen werden mit Hilfe von "Gender-Mainstreaming"-Rhetoriken oft Rückschritte eingeläutet. Je nach politischer Gemengelage werden die Stellen von Frauenbeauftragen durch männliche Genderbeauftragte ausgetauscht oder ganz abgeschafft, Frauenquoten zurückgeschraubt oder Frauenetats gekürzt. Deshalb geht es - trotz rechtlicher Gleichstellung - auch weiterhin um klassische Aufklärungsarbeit, um den Kampf um Diskursmacht, zum Beispiel in Bezug auf die Ausbildungsinhalte an Schulen und Unis.
Von institutionell-feministischer Seite herrscht oft völlige Ignoranz gegenüber der Bewegungsperspektive vor. Aber auch andersherum werden die Erfolge in Institutionen von der autonomen, linksradikalen Bewegung oft nicht gewürdigt - oder gar verachtet. Für eine starke Bewegung wäre aber, solange die jeweilige Praxen emanzipatorisch sind, eine gegenseitige Anerkennung wichtig.
Klar können institutionelle Arbeiten alleine nicht systemverändernd sein, aber ohne die zweite Frauenbewegung wäre ich auch nicht die, die ich jetzt bin. Abgesehen von den kulturellen Veränderungen waren es auch die institutionellen Errungenschaften, die viel bewirkt haben: Gleichstellungsparagraphen, Änderung des §218, feministische Wissenschaft, Frauenhäuser, Frauennotrufe; Gleichstellungsbeauftragte, die harte Arbeit geleistet haben. Auch wenn es nicht zu den Erfolgen geführt hat, die man sich versprach, aber das ist ja immer so. Vielen jüngeren Frauen ist überhaupt nicht klar, dass diese ganzen Sachen hart erkämpft wurden, dass sie nicht selbstverständlich sind.
Judith ist 26, lebt und studiert in Bremen und beteiligte sich an dem Crossovercamp, den feministischen Widerstandstagen u.v.m.