Fantômas Logo Fantômas - Magazin für linke Debatte und Praxis / Nr. 11 / Sommer 2007

Editorial

Wenn sich im Juni 2007 die Regierungs- und Staatschefs der G8-Staaten im Ostseebad Heiligendamm treffen, werden sie nicht allein sein: Zehntausende werden gegen die Politik der G8-Staaten und die kapitalistische Globalisierung protestieren. Sie werden deutlich machen, dass sie die Ausbeutung von Mensch und Natur, für die die Politik der Regierenden der G8-Staaten steht, nicht hinnehmen. Sie werden "Nein!" sagen zu den aktuellen und zukünftigen Kriegen. Sie werden die Politik bekämpfen, die unter "Freiheit" nur die Freiheit des globalen Kapitals versteht, die Bewegungsfreiheit der Menschen dagegen durch ein rassistisches Grenzregime kriminalisiert.

Bei den G8-Gipfeln und den Protesten der sozialen Bewegungen geht es immer auch um die Deutung der Welt. Dabei ist ein symbolischer Erfolg der "Bewegung der Bewegungen", wie sich die sehr heterogenen Strömungen selbst bezeichnen, offensichtlich. Nach Genua mussten sich die RepräsentantInnen der neoliberalen, globalen Ordnung bei ihren jährlichen Gipfeln aus den Zentren zurückziehen. Seitdem treffen sie sich in abgelegenen Luxusdomizilen, abgesichert von gestaffelten Stacheldrahtzäunen, bewacht von Tausenden von PolizistInnen und von Flugabwehrraketen. Die RepräsentantInnen der Macht schützen sich vor den BürgerInnen, die sie angeblich repräsentieren. Zugang werden neben den JournalistInnen, die die Inszenierung der Macht ins rechte Licht rücken sollen, höchstens ein paar Claqueure haben. Ansonsten werden sie sich in ihrer Zitadelle verschanzen.

Erfreulich ist die Breite der Bewegung, die ihre Stimme gegen die Politik der G8- Staaten erhebt. Sie reicht von entwicklungspolitischen Nichtregierungsorganisationen, über MigrantInnen, Gewerkschaftsgliederungen, christlichen Basisgruppen bis hin zur radikalen Linken. Wenn diese unterschiedlichen politischen und sozialen Milieus und Ansätze in einen Austausch treten, kann aus der Vielheit eine politische Gegenmacht werden. Dies heißt nicht, Differenzen zu verschweigen. Und manchmal wird es auch sinnvoll sein, getrennte Wege zu gehen. Aber nicht jede Differenz muss zu einem Rütli- Schwur auf die jeweilige Wahrheit werden. Gelingt dies in einer gesellschaftlich relevanten Dimension, können neue Horizonte im Kampf gegen den neoliberalen Kapitalismus eröffnet werden.

Die Redaktionen von ak - analyse & kritik, arranca!, Fantômas und So oder So wollen mit dieser gemeinsam geplanten und erstellten Broschüre einen Beitrag zu den Protesten leisten. Diese Broschüre hat nicht den Anspruch, die Politik der G8-Staaten umfassend zu analysieren. Auch können wir den Protesten - oder mit den Worten von Immanuel Wallerstein: dem "Lager von Porto Alegre" - nicht in all ihren Facetten gerecht werden. Sie soll aber einen Eindruck über die Bedeutung der Politik der G8-Staaten vermitteln und aufzeigen, wie sehr die Kämpfe in den unterschiedlichen Bereichen und Kontinenten miteinander verflochten sind.

Bei den G8-Treffen geht es um die Aufrechterhaltung und Gestaltung einer globalen Ordnung von der nur wenige profitieren. Dies ist das Interesse, das alle daran beteiligten Regierungschefs eint. Gleichwohl handelt es sich dabei nicht um eine Weltregierung, vielmehr sind die jährlich stattfindenden Gipfel Teil eines durchaus widersprüchlichen Machtnetzes (BUKO-ASWW). Zu den Knotenpunkten des Machtnetzes gehören die von den G8-Staaten beherrschten einflussreichen Institutionen wie IWF, Weltbank, WTO oder NATO. Sie spielten bei der Durchsetzung der neoliberalen Globalisierung eine zentrale Rolle. In den letzten Jahren scheinen sie aber an Einfluss verloren zu haben (Ziai, Wahl). Dahinter steckt - so Wahl - mehr als eine Formkrise, sondern ihr Einflussverlust ist Vorbote eines anstehenden Umbruches, auf den sich die Linke noch unzureichend eingestellt hat.

Unbestrittene Hegemonie im G8-Prozess hatten die USA. Heute präsentieren sie sich deutlich geschwächt. Manche - wie Wallerstein - vertreten die These, dass sich der Adler im Sturzflug befindet. Dafür sprechen sicher gute Gründe. Die Gegenthese vertreten hier Panitch/Gindin. Sie halten es für fahrlässig, die USA zu unterschätzen und verweisen auf ihre nach wie vor vorhandenen Machtpotenziale.

Eine wichtige Rolle im Konzert der Großmächte spielt die EU. Ihre vier bedeutendsten Staaten (Deutschland, Frankreich, Italien und Großbritannien) gehören den G8 an. Welche Ziele sich die Bundesregierung unter Kanzlerin Merkel während der derzeit laufenden EU- Ratspräsidentschaft gestellt hat, verdeutlicht Gerhard Klas.

Die letzten Jahre sind gekennzeichnet vom Aufstieg Indiens und Chinas. Henning Böke wirft einen Blick auf das chinesische Wirtschaftswunder, das mit großen sozialen und ökologischen Problemen verbunden ist. Die weitere Entwicklung als globaler Akteur wird auch davon abhängen, ob es gelingt, diese Probleme zu lösen.

Afrika ist geprägt durch die kolonialen Erblasten. Im Wettlauf um strategische Rohstoffe hat es in den letzten Jahren wieder an Bedeutung gewonnen. Über die gegenwärtigen Entwicklungen, die dem vergessenen Kontinent wieder eine neue Rolle zuweisen, informiert Melber.

Die G8-Staaten verfügen über ein klar definiertes Bedrohungsszenario. Dazu gehören der räumlich und zeitlich unbegrenzte Krieg gegen den Terror, die Verhinderung der Verbreitung von Atomwaffen, die Versorgung der G8-Staaten mit strategischen Rohstoffen und die Kontrolle der Migrationsrouten. All dies erfordert eine grundlegende Veränderung der Militär- und Sicherheitspolitik. Negri u.a. zufolge werden die Kriege der Zukunft von flexiblen, schnell einsetzbaren, kleinen Einheiten geführt werden, die den Charakter von Polizeiaktionen annehmen.

Der 11. September 2001 markiert in der Sicherheitspolitik eine Zäsur. Der Krieg gegen den Terror wird zunehmend ohne Rücksicht auf Menschenrechte und Völkerrecht geführt (Kaleck). Die Verschleppung von Gefangenen in rechtsfreie Lager (Guantánamo) und der Einsatz von Folter (Abu Ghraib) sind dafür Beleg. Neben dieser "Notstandspolitik" wird die Abschottung der "freien Welt" vor nicht erwünschten MigrantInnen zur Signatur unserer Zeit. Das globale Kapital hat - so Mike Davis - mehrere Mauern errichtet, die alle Dimensionen des Eisernen Vorhangs schon längst übertreffen.

Fragen der Energiesicherheit ziehen sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der G8-Gipfel. Seit dem Irakkrieg und seit dem Streit zwischen Russland und seinen Nachbarländern um die Gasversorgung hat sich die Debatte verschärft. Hierlmeier/Engelke skizzieren den Rahmen der politischen Auseinandersetzungen. Eine zentrale Rolle in der Energiepolitik spielt Russland, das zunehmend seinen Energiereichtum als strategischen Faktor einsetzt (Neunhöffer).

Im Nahen Osten lagert knapp die Hälfte der weltweit bekannten Ölreserven. Für die G8-Staaten ist die Kontrolle der Region von höchstem geopolitischem Interesse. Bei MilitärexpertInnen in den USA werden bereits Pläne zu einer völligen politischen Neuordnung der Region gehandelt (Wagner). Wie schwierig es ist, solche Pläne in die Realität umzusetzen, zeigt der Krieg im Irak, der zu einem Desaster zu werden droht. Für Alnasseri herrscht dort ein schreckliches Gleichgewicht unzähliger Partikularinteressen.

Einigen BeobachterInnen zufolge war der Grund des Krieges gegen den Irak dessen Absicht, die Öllieferungen in Zukunft in Euro statt in US-Dollar abrechnen zu wollen. Warum die globale Ökonomie eine Weltwährung benötigt und weshalb der Euro diese Funktion noch nicht erfüllen kann, verdeutlichen Euskirchen und Stützle.

Auf der Agenda der G8 haben in den letzten Jahren Fragen des geistigen Eigentums und des Patentschutzes an Bedeutung gewonnen. Westliche Pharma- und Agrokonzerne eignen sich mit Unterstützung der G8-Regierungen das kollektive Wissen indigener Gemeinschaften an, um daraus Profite erzielen zu können (BUKO-Kampagne gegen Biopiraterie).

Der Anteil der durch geistiges Eigentum geschützten Güter am Welthandel wird rasant zunehmen. Was darunter zu verstehen ist und welche Probleme daraus für die G8-Staaten entstehen, verdeutlicht Nuss.

Konstitutive Merkmale der "globalisierungskritischen Bewegungen" waren deren Internationalismus und Pluralismus. Seibert geht im Rückgang auf zentrale Ereignisse dieser Bewegung den Fragen nach, welche Konsequenzen für eine Politik linker Intervention daraus zu ziehen sind. Die Vorbereitungen für Heiligendamm von Seiten der G8-GegnerInnen haben sich deutlich von Köln 1999 - dem letzten G8-Gipfel in Deutschland - unterschieden. Zentral war die Bereitschaft zu gemeinsam getragenen Aktionen. Daraus könnte eine neue Dynamik entstehen, wenn es gelingt, die lokalen mit den globalen Kämpfen zu verbinden (Schröder). Pluralität darf aber nicht zu Beliebigkeit führen. Sonst besteht die Gefahr, von den Regierenden vereinnahmt zu werden. So geschehen beim G8-Gipfel 2005 im schottischen Gleneagles (Trott/Dowling).

Ein Manko bei der G8-Mobilisierung ist die fehlende Unterstützung von Seiten der Gewerkschaften. Ihre Spitzen sind gefangen in dem Dilemma von historischer Treue zur Sozialdemokratie trotz deren neoliberaler Politik und einer Neuorientierung gewerkschaftlicher Politik in Richtung Internationalisierung und sozialen Bewegungen. Für Deppe ist der Elitenkonsens zwischen Gewerkschaften und Sozialdemokratie schon längst aufgekündigt.

Die Bewegung gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm ist nicht zu denken ohne die Einflüsse, Impulse und AktivistInnen aus anderen Ländern. Die zahlreichen Kämpfe in Frankreich, Italien (Genua), den USA (Seattle), die Streiks in Korea und das Wiedererstarken der Linken in Lateinamerika wird hier aufmerksam verfolgt und in die Debatten eingespeist. Aber diese Kämpfe verlaufen nicht ohne Widersprüche und Rückschläge. Über Erfolge und Misserfolge, über Grenzen und Herausforderungen für diese Kämpfe berichten Armano/Sciortino (Italien), Schmid (Frankreich), Ray/Lebuhn (USA), Eisenbürger (Lateinamerika) und Werning (Südkorea).

Die Redaktionen von ak, arranca!, Fantômas und So oder So